Bundesliga:Die Sommerschlussspirale

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1001 legale Transfertricks: Immer mehr Profis versuchen sich immer skurriler aus ihren Verträgen zu winden.

Christof Kneer

Wie geht es eigentlich Owen Hargreaves, Khalid Boulahrouz, Michael Thurk und Danijel Ljuboja? Nach allem was bekannt ist, erholt sich Hargreaves zurzeit von einem Schnupfen, von dem keiner genau weiß, ob es ein Schnupfen war. Boulahrouz wiederum erholt sich von einer Bänderverletzung, von der man ziemlich genau weiß, dass es keine Bänderverletzung war.

Der Adler auf der Brust: Michael Thurk ist von Mainz nach Frankfurt gewechselt (Foto: Foto: dpa)

Michael Thurk, erholt sich in Frankfurt von seiner Zeit bei Mainz 05, und Ljuboja erholt sich von, tja, wovon erholt sich eigentlich Danijel Ljuboja? Er erholt sich grundsätzlich, vom Training, vom Profifußball und überhaupt. Im Moment übt er auf dem Trainingsplatz des VfB Stuttgart locker vor sich hin, und er ist bestimmt blendend erholt, wenn ihn bald Celtic Glasgow holt oder zur Not die Bolton-wir-kaufen-alles-Wanderers. Oder niemand.

Boulahrouz, der kurioseste Transferfall

Neun Tage noch, dann ist alles vorbei. In neun Tagen muss der Fußball ganz tapfer sein, denn dann endet die erste Transferperiode. Es wird dann sehr langweilig werden im Land, ach was, in Europa, ach was, auf der ganzen Welt. Kein Profi wird dann mehr von hinterhältigen Stretchingblessuren dahingerafft werden, und man kann nur all jene beglückwünschen, die diese eine Szene zufällig auf Video mitgeschnitten haben.

Bis zur Öffnung des nächsten Transferfensters im Januar können sie sich täglich die Szene anschauen, wie sich HSV-Verteidiger Boulahrouz vor dem Hinspiel der Champions-League-Qualifikation gegen Osasuna warmmacht; wie er plötzlich zu Boden sinkt, wie er sich wälzt, wie er abtransportiert wird. Und wie er auf der Trage die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, was eine vom Fußballverband offiziell anerkannte Branchengeste ist für Sportler, die sich das Wadenbein gebrochen oder das Kreuzband gerissen haben. Es ist dann aber doch nicht so schlimm gewesen, dachte man, weil Boulahrouz sagte, er sei bald einsatzbereit. Hier aber hatte man schon wieder falsch gedacht, weil Boulahrouz zwar rasch genas - nur stellte er seinen gesunden Sportlerkörper dann nicht mehr dem HSV zur Verfügung. Sondern dem FC Chelsea.

Der Fall Boulahrouz ist sicher der kurioseste Transferfall gewesen im Sommer, und man muss kein Mediziner sein, um eine Stauchung am Taktikgelenk zu diagnostizieren. Niemand bestätigt beim HSV, dass hier ein Profi eine Verletzung simuliert hat, aber sie dementieren es auch nicht. Hätte Boulahrouz nur eine Sekunde gespielt, wäre er für Chelsea in der Champions League nicht mehr spielberechtigt gewesen - ,,und da brauchst du einen Spieler, der sich im richtigen Moment auch mal hinlegt'', sagt einer, der alle Nebengeräusche des Transfers kennt.

Handelsübliche Verschnupfung

Es ist wieder so weit, der morbus sommerschlussverkauf geht wieder um. Das ist eine ansteckende Krankheit, die gerne über Profifußballer herfällt, speziell über solche, die bei Verein A unter Vertrag stehen, aber gerne zu Verein B wechseln würden. Auch Hargreaves ist gleich eine influenza tactica unterstellt worden, als er in Bochum grippig fehlte. Zu diesem Zeitpunkt stand er in, nun ja, lautstarken Verhandlungen mit dem eigenen Klub, weil er an einem Angebot Manchester Uniteds Gefallen gefunden hatte, was wiederum den Bayern weniger gefiel.

Es ist wohl doch eine handelsübliche Verschnupfung gewesen, dennoch passt der Fall Hargreaves in die neuen Mechanismen der Branche: Immer skurriler geht es zu auf dem Sommertransfermarkt, und immer häufiger sind es die Spieler, die sich - unter Mithilfe des Beraters oder des neuen Vereins - aus bestehenden Verträgen herauszuwinden versuchen. Sie organisieren sich Verletzungen wie Boulahrouz oder insistieren wie Hargeaves so nachhaltig, dass es die Vorgesetzten zur Weißglut bringt. Man könnte es die schleichende Chelseasierung des Fußballs nennen, weil die 1001 legalen Transfertricks längst auch die tieferen Etagen der Branche erreicht haben.

Die Spirale nimmt Fahrt auf

Noch nie ist das so auffällig gewesen wie in dieser Woche, in der Boulahrouz und Hargreaves das Thema vorgeben - und an deren Ende der Spieler Thurk mit seinem neuen Klub Frankfurt seinen alten Klub Mainz heimsucht. Auch Thurk sind kürzlich ganz viele Gründe eingefallen, warum er den weltbeliebtesten Trainer Jürgen Klopp auf einmal doch nicht mehr so toll fand; wenn man das richtig verstanden hat, ging es darum, dass Klopp den Mainzer Friedrich fürs Nationalteam empfahl, den Mainzer Thurk aber nicht. Ja gut, und dann hat der von Klaus Gerster - Branchenname Schwarzer Abt - vertretene Thurk so lange Druck gemacht, bis sie ihn gehen ließen.

Noch derber trieb es höchstens der Stuttgarter Ljuboja, der nach dem letzten Heimspiel der vorigen Saison seinen Vater vor die Presse schickte. Der erklärte, sein Sohn wolle den Vertrag beim VfB auf keinen Fall erfüllen, sein Sohn fühle sich hintergangen, um die Hälfte seines Gehaltes betrogen - nur war es so, dass der Sohn den Vertrag selbst unterschrieben hatte. Der Fall Ljuboja zeigt, wie leicht man sich bei dem neuesten Geschäftsprinzip auch verpokern kann. Es reicht ja nicht, sich im alten Klub unmöglich zu machen; einen neuen Verein sollte man schon auch haben, und den hat Ljuboja bis heute nicht. Zuletzt hat er auf einen Vertrag bei Celtic Glasgow gehofft, aber die Schotten haben jetzt den Holländer Vennegoor of Hesselink verpflichtet, und wenn es dumm läuft, droht Ljuboja eine Saison auf der Stuttgarter Tribüne.

Neun Tage also noch, genug Zeit für die Sommerschlussspirale, um noch mal Fahrt aufzunehmen. Das Transfergeschäft ist ja nicht nur deshalb so skurril geworden, weil im August alles schnell, schnell, schnell gehen muss. Es liegt auch daran, dass, angezogen vom großen und kleinen Geld, immer mehr undurchsichtige Gestalten mitmischen. So haben sich bei der Branchengröße Michael Becker, der unter anderem Michael Ballack vertritt, in den letzten Tagen 19 Klein- und Kleinstvermittler gemeldet, die ihm helfen wollten, einen vereinslosen Mandanten unterzubringen. Der vereinslose Mandat war kein Weltstar. Der vereinslose Mandat war der ehemalige Gladbacher Jeff Strasser.

© SZ vom 23.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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