Bundesliga:Abschied des Patriarchen

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Vorstands-Chef Martin Kind verlässt Hannover 96 - freiwillig.

Jörg Marwedel

Als Jürgen Schrempp, der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Chrysler, unlängst ziemlich unverhofft seinen Rücktritt erklärte, war Martin Kind, 61, beeindruckt. "Ganz gut" fand der nüchterne Unternehmer, der den kleinen elterlichen Betrieb in Großburgwedel zum größten Hörgeräte-Unternehmen Europas ausbaute, wie der mächtige Manager seinen Ausstieg inszenierte. Auch die Parallele zu seinem eigenen Entschluss scheint ihm zu gefallen. Am Mittwochabend hat Kind überraschend seinen Rückzug als Chef des Bundesligaklubs Hannover 96 angekündigt - allerdings ohne unter Druck geraten zu sein wie der berühmte Kollege.

Kind geht nach acht Jahren aus freien Stücken. Und er geht in dem Gefühl, die Herausforderung, einen einst maroden Klub in eine "Bundesliga-Marke" mit besten Zukunftsaussichten zu verwandeln, "im Wesentlichen erfolgreich abgeschlossen" zu haben. Allein seine Gesellschafterrechte bei der - finanziell allerdings bestimmenden - 96-Tochter "Sales & Service GmbH und Co. KG" wird Kind weiter wahrnehmen, dort hat er mehrere Millionen Euro eingebracht.

Natürlich wird in Hannover jetzt über Gründe und Zeitpunkt der Demission spekuliert. Kind hatte schon oft angekündigt, er wolle sich zurückziehen, wenn der Klub nicht mehr von ihm abhängig sei. Immer öfter deutete er zuletzt seine Amtsmüdigkeit an, doch mit der schnellen Konsequenz rechnete auch in seinem Umfeld niemand. Mutmaßungen, das Chaos mit dem neuen elektronischen Einlass- und Zahlsystem beim ersten Bundesliga-Heimspiel gegen Hertha BSC Berlin, das laut Kind zu "einem großen Imageschaden für 96" führte, könne letzter Auslöser gewesen sein, mochte der scheidende Chef nicht bestätigen.

Hohe Anforderungen an den neuen Präsidenten

Der Aufsichtsratsvorsitzende von Hannover 96, Harrald Wendt, kündigte derweil am Donnerstag an, man hoffe, spätestens in drei Monaten den Nachfolger präsentieren zu können. Bei der Suche soll auch eine Personalberatung eingeschaltet werden. "Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und müssen den besten Mann finden", sagte Wendt. Die Aussage verdeutlicht, was für eine Entwicklung die einstige Skandalnudel Hannover 96 unter Kinds straffem Regiment genommen hat. Der Alles-Entscheider, zu dessen Lieblingsvokabeln Begriffe wie "Turnaround", "operative Umsetzung" oder "Planungssicherheit" gehören, trat sozusagen den Beweis an, dass wirtschaftliches Know-how im heutigen Fußballgeschäft noch schwerer wiegt als persönlicher sportlicher Sachverstand, denn den kann man sich ins Haus holen.

Als der letzte ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende der Bundesliga den Klub 1997 übernahm, spielte der in der Regionalliga und stand mit 8,7 Millionen Mark Schulden vor der Insolvenz. Mit der Gründung der Vermarktungsgesellschaft "Sales & Service", die dem Verein die Nutzungsrechte an der Marke "96" für drei Millionen Mark abkaufte, sicherte Kind dem Klub im Juli 1998 das Überleben. Nach der Rückkehr in die zweite Liga wandelte er die Profisparte in eine Kapitalgesellschaft um. Er gewann lokale Großunternehmen wie die TUI oder AWD. An die AWD vermietete er für jährlich zwei Millionen Euro die Namensrechte am alten Niedersachsenstadion. Zielstrebig trieb er zudem den Neubau der Arena voran, die sogar Spielort der WM 2006 wird. Nach dem Erstliga-Aufstieg 2002 erntete Kind zwar Kritik, weil er im Umgang mit dem leitenden Personal nicht immer glücklich agierte und öffentlich mit dem damaligen Trainer Ralf Rangnick und Sportdirektor Ricardo Moar stritt. Doch letztlich zahlten sich die Investitionen ins Team aus, Hannover etablierte sich in der ersten Liga.

Ohne den modernen Patriarchen Kind dürften nun Fußball-Manager Ilja Kaenzig, 32, und der Kind-Vertraute und Anwalt Karl-Heinz Vehling, 45, weiter an Einfluss in dem aus mehreren Gesellschaften bestehenden 96-Geflecht gewinnen. Der künftige Vorstandschef wiederum soll nach Vehlings Auffassung "auch ein bisschen Show-Typ" sein. Das war Kind nie. Ihn interessierten nur Strukturen, die "alles kalkulierbar" machten. Glaubt man Aufsichtsrat Wendt, hat er das Ziel erreicht. "Jetzt", sagte Wendt, "könnte auch ein Orkan kommen, ohne dass alles umfällt." Mal sehen, ob der Mann Recht behält.

© SZ vom 12.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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