Bremen - Hannover (18 Uhr):Odyssee zum Maschsee 

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Momentan erste Wahl als Stürmer bei Hannover 96: Neuzugang Jonathas Cristian de Jesus Mauricio, genannt Jonathas (Foto: AP)

Der brasilianische Stürmer Jonathas kam aus Russland zu Hannover 96. "Nicht überlegen. Hingehen!", rieten ihm Kollegen. Nun hat sich Jonathas mit drei Toren in sechs Partien das Vertrauen der Niedersachsen erspielt.

Von Frank Hellmann, Hannover

Über die besonderen Bande nach Bremen kann das Offensivpersonal von Hannover 96 einiges berichten. Zum Beispiel Martin Harnik: Der Stürmer, im Zweitliga-Jahr mit seinen Toren der Garant für den sofortige Wiederaufstieg, ist ein so guter Kumpel von Werder-Spieler Max Kruse, dass er eigens am Freitag auf der Pressekonferenz seinen 30 Jahre alten Freund in 96-Reihen erwähnte. Überdies hat der aus Hamburg stammende österreichische Nationalspieler Harnik zwischen 2006 und 2010 selbst für die Bremer gespielt, feierte ein traumhaftes Debüt unter dem damaligen Trainer Thomas Schaaf, der indes bald keine Verwendung mehr für den forschen Draufgänger hatte und ihn irgendwann nur noch als Verteidiger aufstellte. Harnik zog weiter und fand sein Glück in anderen Klubs.

Ähnlich verläuft die Geschichte von Niclas Füllkrug, einem weiteren früheren Bremer. "Es wird ein besonderes Gefühl sein, ins Weserstadion zurückzukehren", sagte der 24-Jährige vor dem Nordderby am Sonntag (18 Uhr): "Ich habe dort meine Jugend verbracht und im Stadion im Internat gewohnt." Der gebürtige Hannoveraner war noch länger als Harnik - von 2006 bis 2014 - ein Werderaner. Weil er sich in der zweiten Liga beim 1. FC Nürnberg gut entwickelte, hätte Werder eigentlich zur Saison 2015/2016 ein Rückkaufsrecht wahrnehmen können, doch der damalige Geschäftsführer Thomas Eichin wollte die 2,5 Millionen Euro Ablöse nicht zahlen. "Ich als Manager hätte mich geholt", erklärte Füllkrug keck vor der Wiederkehr.

Sechs Spiele, drei Tore: Jonathas Quote spricht für sich

Für beide gilt: Sich dem früheren Verein zu zeigen, in dem sie zum Profi wurden, wäre etwas Spezielles. Doch Harnik (11 Spiele, 5 Tore) und Füllkrug (11/2) könnten nur zweite Wahl sein, seit neue Konkurrenz aufgetaucht ist. Durch Neuzugang Jonathas Cristian de Jesus Mauricio, genannt Jonathas. Als Hannover 96 zuletzt eine überzeugende Leistung im Auswärtsspiel bei RB Leipzig (1:2) und eine sogar überragende Vorstellung im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (4:2) bot, sah die Rollenverteilung nämlich so aus: Jonathas, die Nummer neun, stand in der Startelf, Harnik, die Nummer 14, und Füllkrug, die Nummer 24, kamen erst als Einwechselspieler zum Zuge. Wie richtig die Entscheidung war, belegt dies: Der 28-Jährige traf in beiden Spielen, hat nun bei sechs Einsätzen drei Treffer auf dem Konto. Eine Quote, die das Vertrauen rechtfertigt.

Trainer André Breitenreiter steht indes nicht im Verdacht, die früheren Verdienste der Aufstiegshelden zu ignorieren. Im Gegenteil: Der 44-Jährige weiß genau, wem er die Erfolgsserie aus dem Frühjahr verdankt. Weshalb sich eben auch ein Neun-Millionen-Einkauf wie Jonathas gedulden musste. Zum Ende der Transferperiode vom russischen Klub Rubin Kasan als teuerster Profi der Vereinsgeschichte verpflichtet, wurde der Mittelstürmer im Heimspiel gegen den FC Schalke 04 erst in der 62. Minute für Füllkrug eingewechselt. Keine fünf Minuten später avancierte der Neue zum Mann des Tages. Weil er das siegbringende 1:0 schoss.

"Beidfüßig, treffsicher, kopfballstark"

Damit löste der Brasilianer am 27. August entscheidend jene Erfolgswelle mit aus, auf der die Roten gerade durch die Liga surfen. Sein Einstand prägte damit dasselbe Markenzeichen wie sein Ausstand bei Rubin Kasan: Für den russischen Erstligisten aus der Tartaren-Stadt - Spielort der WM 2018 - hatte er acht Tage zuvor noch zwei Treffer gegen Machatschkala erzielt. "Die Tore zum Abschied in Kasan und der Treffer gegen Schalke - das waren außergewöhnliche Tage meiner Karriere", erzählte Jonathas in einer ersten Vorstellungrunde am Maschsee. Und weil er derart überwältigt von den Gefühlen war, kam auch das für einen Südamerikaner typische Tänzchen nicht zur Aufführung.

Nur: So erfreulich ging es nicht weiter. Muskelprobleme, Migräne - Jonathas musste kürzer treten und kehrte erst am achten Spieltag, Mitte Oktober, für die finalen fünf Minuten bei der Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt (1:2) wieder auf den Rasen zurück. Seitdem aber ist er mittendrin statt nur dabei. "Er erfüllt alle Kriterien, die uns bei einem Stürmer wichtig sind. Er ist physische sehr präsent, beidfüßig und kopfballstark. Egal wie er unter Vertrag stand, er hat immer seine Tore gemacht", stellt 96-Sportdirektor Horst Heldt an einem auf den Abschluss fokussierten Stürmertypen heraus.

Jonathas ist einer jener Profis, durch deren Vita auf den ersten Blick nur schwer durchzufinden ist. Nach seinem Europa-Debüt bei AZ Alkmaar in den Niederlanden zog es ihn nach Italien (Brescia Calcio, Pecsara Calcio, FC Turin, US Latina), dann weiter nach Spanien (FC Elche, Real Sociedad), ehe er nach Russland ging. Die Bundesliga habe er allerdings immer verfolgt, versicherte er. "Es gab auch während meiner Zeit in Elche Interesse von Vereinen, das hat sich nur nicht konkretisiert." Als Hannover anfragte, suchte er über gemeinsame Bekannte Kontakte mit 96-Verteidiger Felipe, und auch beim ehemaligen Hoffenheimer Eduardo fragte er nach, ob Deutschland denn das richtige für ihn sei. Eduardos Antwort: "Nicht überlegen, hingehen!"

Fußball ist Arbeit, sagt der Brasilianer

In Hannover hat der 1,90-Meter-Mann einen Vertrag bis 2020 unterzeichnet, was eine lange Verweildauer für jemanden wäre, der es nur in seiner Anfangszeit in Alkmaar länger aushielt. Der Fußballer aus Betim, einer Stadt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, glaubt daran, diesmal die richtige Wahl getroffen zu haben. Er sei zwar vom tiefsten Herzen her Brasilianer ("mit allem, was dazugehört"), aber die andere Seite sei: "Mir gefällt es, hart zu trainieren. Ich bin ein Arbeiter. Einer, der viel investiert, anders als es das Klischee vom typischen Brasilianer vormacht." Und: "Die Mentalität der Mannschaft in Hannover ist genauso." Vielleicht steht Hannover 96 deshalb auch gerade viel besser als der SV Werder da. Der letzte Sieg der Niedersachsen an der Weser liegt allerdings schon mehr als 14 Jahre zurück. Am 22. März 2003 gewann Hannover in Bremen mit 2:1. Doppeltorschütze damals: Fredi Bobic. Wer auch immer von den 96-Offensivkräften sich nun daran vielleicht ein Beispiel nehmen will.

© SZ vom 19.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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