Boxen in Deutschland:Kommerz und Auftrag

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Artem Harutyunyan, 28, Olympia-Dritter von Rio 2016, kam einst mit den Eltern aus Armenien. Heute ist er die deutsche Hoffnung des wiedererweckten Boxstalls Universum. (Foto: Chris Emil Janßen/imago)

Ismail Özen-Otto will den Boxstall Universum wiederbeleben. Der Athlet Artem Harutyunyan passt gut zur Aufsteiger-Geschichte.

Von Thomas Hahn, Hamburg

In seinem Heimatland Argentinien nennen sie den Boxer Hugo Alfredo Santillan "Dinamita", Dynamit. Der Kampfname ist wohl der Verweis auf jenen explosiven Kampfstil, den der 23-Jährige Samstagnacht bei der Veranstaltung zur Auferstehung des ehemals ruhmreichen Boxstalls Universum in Hamburg nicht zur Geltung bringen konnte. Sein Gegner im interkontinentalen Superleichtgewichts-Titelkampf des Verbandes IBO war nämlich der Universum-Athlet Artem Harutyunyan, ein deutscher Olympia-Dritter mit durchdringendem Blick und erlesener Technik.

Santillan war von Anfang an einem Trommelwirbel gezielter Schläge ausgesetzt. In der zweiten Runde sackte er in die Knie. In der fünften schlug ihm Harutyunyan den Mundschutz aus dem Gesicht. In der sechsten begann das Nasenbluten. In der siebten wurde er zum zweiten Mal angezählt. Schwankend und verbeult hielt Santillan durch. Punktsieger Harutyunyan sagte: "Ich bin froh, dass er unverletzt aus dem Ring gegangen ist." Und der Ringsprecher nannte ihn statt "Dinamita" spontan "Mann mit dem Eisenschädel".

Einzelschicksale sind an diesem lichten Abend im Gym des früheren Profiboxers Ismail Özen-Otto allerdings nicht so wichtig gewesen. Selbst der Sieg von Artem Harutyunyan, sein siebter im siebten Profikampf, war im Grunde nur ein Nebenaspekt zur Botschaft, die am Schluss vom Videoschirm schimmerte: "Universum is back." Der Abend mit 500 geladenen Gästen war als "VIP Launch Event" angelegt, als Auftaktereignis also, dem nach großer Dürre eine neue Geschichte folgen soll.

Universum ist einer dieser Markennamen, die im kollektiven Sportgedächtnis hängen geblieben sind. Unter ihrem Gründer Klaus-Peter Kohl war die Universum Box-Promotion von 2002 bis 2010 zuständig für die Faustkampf-Grundversorgung des ZDF-Publikums und bestellte damit die Bühne für vielbeachtete Weltmeisterinnen und Weltmeister wie die ukrainischen Schwergewichtsbrüder Vitali und Wladimir Klitschko, den deutsch-polnischen Halbschwergewichtler Dariusz Michalczewski oder das badische Gleichstellungsvorbild Regina Halmich.

Die große Show aus dem Kohl-Kosmos endete allerdings schnell, als das ZDF das Vertragsverhältnis nicht verlängerte. Der Unternehmer Waldemar Kluch versuchte einen Neuanfang. 2012 war Universum pleite und raus aus dem Sportgeschäft. Bis der Ex-Universum-Kämpfer Özen-Otto, 38, die Rechte am Namen erwarb und mit seinem Hamburger Verein "Kampf Deines Lebens" den Neustart im eigenen Gym an der Großen Elbstraße im Hafen organisierte.

"Wir schaffen das", rief Özen-Otto bei seiner Premiere ins Saalmikrofon. Neun Kämpfe hatte er im Programm. Im Partyzelt glimmte die Atmosphäre eines exklusiven Modeschaulaufens. Am Ring strahlte die Qualität eines sportlichen Kammerspiels aus. Alle waren nah dran. Die Show war bescheiden, aber nicht billig. Bild.de streamte live. Und wie das so ist bei Anfängen: Alle waren voller Zuversicht und Achtung für den Macher. "Da kann man nur Danke sagen", sagte Andreas Rettig, Geschäftsführer des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli über Özen-Otto. "Ich freu' mich", sagte Regina Halmich, "der Name Universum ist Musik in meinen Ohren."

Artem Harutyunyan passt gut zur Aufsteiger-Geschichte

Ob's gelingt? Ein Luftschloss hat Ismail Özen-Otto jedenfalls nicht in Arbeit, auch wenn er vielleicht ein bisschen zu sehr betont, aus Universum wieder das machen zu wollen, was es mal war. Er weiß schon, wie er das Beste aus der Vergangenheit mit den Ansprüchen der Gegenwart verbindet. Die Namen von früher sind ein Pfund, nicht ohne Grund waren sogenannte "Universum-Legenden" wie Michalczewski oder Regina Halmich anwesend. Rund um den Ring hingen die Plakate aus der Zeit, als Klitschko-Kämpfe Titel wie "Faustrecht" oder "The War" trugen und Michalczewski als "Tiger" firmierte. Leute aus alten Universum-Zeiten gehören auch jetzt zu den Stützen; Özen-Otto selbst etwa oder Artur Grigoryan, einst Leichtgewichts-Weltmeister, heute Trainer von Artem Harutyunyan.

Und Özen-Ottos Kämpfer-Personal passt gut zur neuen Aufsteiger-Geschichte, die er mit Universum erzählen will. Vor allem Artem Harutyunyan, Olympia-Bronze-Gewinner in Rio 2016, und dessen Bruder Robert, der am früheren Abend gegen den Georgier Dato Nanava im Superfedergewicht gewann und später Artems Kampf schattenboxend neben dem Ring begleitete. Die Brüder stammen aus einer armenischen Flüchtlingsfamilie. Nachdem sie mit den Eltern in Hamburg angekommen waren, sollen sie zunächst in einem Containerschiff ganz in der Nähe des heutigen Gyms gelebt haben. Den Verein "Kampf Deines Lebens" hat Özen-Otto auch als Projekt für benachteiligte Jugendliche angelegt. Die Harutyunyans sollen hier als bodenständige Vorbilder wirken und dabei den Bogen zum Profisport spannen.

Kommerz und gesellschaftlicher Auftrag scheinen hier eine schillernde Partnerschaft einzugehen. "Das wichtigste ist, dass man das jetzt nicht vergleicht mit dem alten Universum", sagte Regina Halmich. Vielleicht ist es sogar ganz gesund, wenn das zweite Leben des Universum-Boxstalls ein bisschen anders verläuft als das erste. Die Suche nach dem Selbstverständnis zwischen Glanz und Bodenständigkeit und ist jedenfalls noch längst nicht zu Ende für den jungen Promoter Özen-Otto. Das wurde auch am Ausgang klar. Das Abschiedsgeschenk für die Gäste nach einem langen, teilweise blutigen Boxsportabend war ein Golfball.

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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