Boxen:Hände hoch und verstecken

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Einstimmige Punktniederlage: Arthur Abraham (rechts) bezieht schwere Prügel vom Briten Chris Eubank Jr. (Foto: Scott Heavey/AP)

"Arthur hat einfach kein Herz mehr": Abrahams klare Punktniederlage gegen Chris Eubank Jr. könnte bereits das Karriere-Ende des 37 Jahre alten Boxers besiegelt haben.

Von Saskia Aleythe, London/München

Immerhin: Arthur Abraham blieb stehen. Eine Eigenschaft, die im Boxen schon als Auszeichnung gelten kann. Und wenn es gerade nicht so gut läuft, muss man sich halt auf die positiven Dinge konzentrieren. Promoter Kalle Sauerland grub tief und fand dann tatsächlich eine Nettigkeit, die er seinem Boxer mitgeben konnte nach dessen verlorenem Kampf im Supermittelgewicht gegen den Engländer Chris Eubank Junior. Sauerland sprach also von "viel Herz, weil er durchgehalten" hat. Trainer Ulli Wegner, nicht zimperlich mit der Realität und eher kein Nettigkeiten-Picker, sah das naturgemäß klarer. "Arthur hat einfach kein Herz mehr", fand der 75-Jährige, und das war dann schon, nun ja, herzzerreißend für alle, die die Beziehung von Boxer und Trainer mitverfolgt hatten. Die dauert immerhin 14 Jahre. Oder soll man sagen: dauerte?

Fürs Durchhalten allein gibt es im Boxen in der Regel keine Titel

Es war Samstagnacht in der Londoner SSE-Arena, als sich im Sauerland-Boxstall Bestürzung mit Ohnmacht paarte. Am gleichen Ort war Wladimir Klitschko gegen Anthony Joshua Ende April zum Einwiegen erschienen, bevor sich die beiden Schwergewichtler in der benachbarten Wembley-Arena vor 90 000 Besuchern einen Kampf lieferten, der gut als Wiederbelebung ihrer Sportart taugen konnte. Eine Atmosphäre, die sich auf Abraham nicht übertrug: Fürs Durchhalten allein gibt es im Boxen in der Regel keine WM-Titel, zumal wenn der Gegner die Treffer landet. Eubank Jr. - nun mit 25 Siegen aus 26 Kämpfen, aber durchaus verwundbar - ärgerte Abraham mit Körpertreffern und Aufwärtshaken, war in allen Belangen flinker. Der Wegner-Schützling hingegen fiel fast schon in Lethargie und eine Art Abwehr-Nickerchen. Hände hoch und verstecken. Man musste sich in mancher Runde sorgen, dass ihn der Pausengong zu Tode erschreckte.

"Dieser Kampf ist meine letzte große Chance, und ich werde sie nutzen", hatte Abraham vorab gesagt. Nur sah es dann so aus, dass das Urteil auf einstimmigen Punktsieg lautete, und dass es der 27 Jahre alte Eubank Jr. war, der sich den Gürtel der eher unbedeutenden Organisation IBO um die Hüfte legen konnte. Die Demütigung zeigte sich am deutlichsten in einer Wertung: 120:108 hatte einer der drei Punktrichter den Kampf gesehen, keine einzige Runde also für Abraham. "Er war der bessere Mann", schloss Abraham wortkarg im TV-Interview, "das war nicht mein Tag, das war nicht gut." Wie es nun mit seiner Karriere weitergehen soll, wusste er nach der Niederlage nicht. "Ich mache ein bisschen Pause und dann sehen wir weiter." Zur Pressekonferenz erschien er nicht. Offiziell, weil er zur Dopingprobe musste.

Das Gewichtmachen fällt ihm immer schwerer - zweimal muss er zum Nachwiegen antreten

Durchhalten ist eine Eigenschaft, die Abraham berühmt gemacht hat, aber unter deutlich anderen Begleiterscheinungen als nun gegen Eubank. Abrahams größter Kampf ist mittlerweile elf Jahre her: Im September 2006 boxte er gegen den Kolumbianer Edison Miranda, erlitt dabei einen doppelten Kieferbruch. "Sei ein Indianer", schrie ihm Wegner im Ring zu - und Abraham boxte noch acht Runden weiter. Nach dem Kampf sprachen die Punktrichter ihm den Sieg und damit die Titelverteidigung der IBF-WM zu. Stolzer war Ulli Wegner vermutlich nie wieder.

In guten Zeiten ließ er sich zu verhaltenem Lob hinreißen, wenn Abraham vielseitig und variabel boxte, im Juli 2015 etwa, nach seinem Knock-Out gegen Robert Stieglitz. In normalen Zeiten arbeiteten sich Trainer und Boxer aber aneinander ab, mal liebevoller, mal rabiater. Eine gewisse Lustlosigkeit hat Abraham die Karriere über begleitet. In den Kämpfen selber, die er üblicherweise erst nach ein paar Runden Inaktivität beginnt. Oder auch in der Trainingsmoral. Das Gewichtmachen fällt dem 37-Jährigen immer schwerer, schon im April war er bei seinem WM-Ausscheidungskampf gegen Robin Krasniqi 7O Minuten zu spät zum Wiegen erschienen. Laut Wegner steckte man im Fahrstuhl fest. Gegen Eubank half keine Ausrede mehr: Arthur Abraham war 500 Gramm zu schwer und musste zwei Mal zum Nachwiegen antreten.

Mit einem Sieg hätte er an der vom Sauerland-Stall initiierten Turnierreihe namens "Ali Trophy" teilnehmen können. Die sucht zwar sportlich noch ihren Stellenwert, ist aber immerhin gut dotiert: Bis zu zehn Millionen Dollar gibt es für den Gewinner aus drei Kämpfen. Marco Huck und Jürgen Brähmer, einst Weltmeister und ebenfalls am Karriereabend angekommen, werden dort antreten. Cruisergewichtler Huck dann vielleicht mit prominenter Unterstützung: Ulli Wegner deutete noch Samstagnacht großes Interesse an, wieder mit ihm zusammenarbeiten zu wollen

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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