Blutdoping:"Entweder ein Wert ist gefährlich oder nicht"

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Der Hämatologe Wolfgang Hiddemann über den Unsinn unterschiedlicher Grenzwerte im Ausdauersport und veröffentlichte Blutdaten.

Thomas Hahn

Blut und Langlauf ist auch bei der Ski-Nordisch-WM in Sapporo ein Thema, die diesen Donnerstag beginnt. Wenn ein Langläufer einen zu hohen Hämoglobin-Wert aufweist, bekommt er eine Schutzsperre von fünf Tagen: Erstens zeigen Hämoglobin-Werte über 16,0 g/dl bei Frauen und 17,0 g/dl bei Männern die Gefahr von Blutverklumpungen an. Zweitens können zu hohe Hämoglobin-Werte Indizien für Doping sein. Die deutsche Staffel-Oympiasiegerin von 2002, Evi Sachenbacher-Stehle, fiel bei Olympia 2006 mit einem Hämoglobin-Wert von 16,4 g/dl auf und geriet unter Verdacht. Vor dieser Saison veröffentlichte sie ihre Blutwerte, um ihre Unschuld zu beweisen. So wie das viele finnische Langläufer schon getan hatten, nachdem sie 2001 ein Blutdopingskandal erschüttert hatte. Aber was sagen Blutwerte überhaupt? Die SZ hat darüber mit einem neutralen Hämatologen gesprochen: mit Professor Wolfgang Hiddemann, Direktor am Klinikum Großhadern und der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Evi Sachenbacher-Stehle, Olympia-Zweite 2006 mit hohen Hämoglobinwerten. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Hiddemann, was kann man aus dem Blut alles lesen?

Hiddemann: Man kann im Blut die Konzentration der Sauerstoffträger, in diesem Fall also die Anzahl der Erythrozyten, der roten Blutkörperchen, und die Konzentration des Hämoglobins, also des Farbstoffs der Blutkörperchen bestimmen. Über diese Messungen kann man erkennen, ob und wie stark diese Werte Schwankungen unterliegen. Derartige Schwankungen können durch natürliche Veränderungen verursacht werden. Der Körper ist bestrebt, seine Sauerstoffzufuhr konstant zu halten und wenn der Sauerstoffdruck geringer wird, produziert er als Kompensation mehr rote Blutkörperchen. Das ist etwa der Fall, wenn man in große Höhen geht. Natürlich können die Werte auch dann schwanken, wenn man die Bildung roter Blutkörperchen anregt, vor allem durch die Gabe von Erythropoetin (Epo), dem Hormon, das die Produktion der roten Blutkörperchen forciert. Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden, muss man für die Interpretation der Messwerte wissen, unter welchen Bedingungen sie erhoben worden sind.

SZ: In großen Höhen ist Evi Sachenbacher-Stehle nicht gewesen, als sie unmittelbar vor Olympia 2006 wegen eines Hämoglobinwerts von 16,4 g/dl eine fünftägige Schutzsperre verordnet bekam.

Hiddemann: Ein Höhentrainingslager ist ja nur eine Interpretationsmöglichkeit. Eine andere wäre: Wenn ein Athlet sehr stark trainiert hat und relativ wenig getrunken hat, dann kann das Blut verdickt sein, und die Werte können erhöht sein. Das sollte bei einem Athleten, der unter professionellen Bedingungen trainiert, allerdings nicht vorkommen.

SZ: Ist es auch nicht laut ihren Ärzten. Aber vergleichen wir die Kurve von Evi Sachenbacher-Stehle mit denen der Finninnen: Die finnischen Werte sind viel niedriger, aber es gibt auch deutliche Schwankungen. Verdächtig?

Hiddemann: Ich würde erst mal davon ausgehen, dass Sportler nicht von vornherein Betrüger sind. Wenn man aber nun die negative Voraussetzung annimmt und sagt, das könnte auch ein Fall von Doping sein, dann muss man sagen: Das ist durchaus auch möglich. Man kann eben, wenn man künstliches Epo spritzt, solche Werte auch erzeugen.

SZ: Wie abhängig ist die Leistung von der Höhe des Hämoglobin-Spiegels?

Hiddemann: Wenn ich viele Sauerstoffträger habe, kriegt der Körper auch in der Muskulatur mehr Sauerstoff und kann dadurch besser funktionieren.

SZ: Wer einen Normalwert von 12 g/dl hat, könnte also versuchen, auf 14 zu kommen, wer 14 hat auf 16.

Hiddemann: Wenn man das sehr vereinfacht sagen will, ja. Nur muss man umgekehrt sagen, wenn die Konzentration gewisse Grenzwerte überschreitet, dann wird das durchaus krankhaft. Wir kennen ja auch Krankheiten, bei denen die roten Blutkörperchen erhöht sind, dabei kommt es zum Beispiel vermehrt zu Thrombosen oder Gefäßverschlüssen.

SZ: Wann wird ein erhöhter Hämoglobin-Wert gefährlich?

Hiddemann: Wenn mehr als die Hälfte des Blutes aus festen Bestandteilen besteht, also aus überwiegend roten Blutkörperchen, steigt das Thrombose-Risiko deutlich an. Der Anteil der festen Blutkörperchen wird über den Hämatokrit-Wert bestimmt, der etwa dem Dreifachen des Hämoglobin-Wertes entspricht.

SZ: Es gibt unterschiedliche Hämoglobin-Grenzwerte. Im Biathlon liegt der Grenzwert für Frauen zum Beispiel bei 16,5 g/dl, im Langlauf bei 16,0.

Hiddemann: Wenn es diese unterschiedlichen Grenzwerte gibt, was ich nicht wusste, dann ist das Unsinn. Entweder ist ein Wert gefährlich oder nicht, das kann man nicht von der Sportart abhängig machen, die ich betreibe.

SZ: Sollte man die Werte auf niedrigerem oder höherem Niveau anpassen?

Hiddemann: Ich persönlich denke, dass der niedrigere Grenzwert besser wäre. Nur, dann kann es unter Umständen sein, dass man Menschen, die von Natur aus einen erhöhten Wert haben, aus einem Wettbewerb ausschließt.

SZ: Wie würde das Profil eines richtigen Dopers aussehen?

Hiddemann: Wenn er Werte hätte, die auf 17 oder 18 g/dl gehen und dann wieder auf 13 g/dl, würde das stark dafür sprechen. Aber auch in diesem Fall muss man genau wissen, unter welchen Bedingungen die Werte erhoben wurden. Wollte man es noch genauer wissen, müsste man parallel die Konzentration des natürlich im Körper vorkommenden Hormons Epo im Serum messen und könnte dann zeigen, dass ansteigende Epo-Spiegel für die hohen Werte verantwortlich sind. Wobei man das körpereigene Epo nicht mit künstlichem Epo verwechseln darf, das als Medikament eingesetzt und als Dopingmittel missbraucht wird.

SZ: Evi Sachenbacher-Stehles Ärzte sagen, dass ihr Blut besonders sensibel auf Höhe reagiert.

Hiddemann: Es kann sein, dass ihre roten Blutkörperchen empfindlicher auf körpereigenes Epo reagieren als bei anderen Menschen. Das würde ihre Schwankungen erklären, die so normalerweise nicht vorkommen. Um das zu prüfen, müsste man die Empfindlichkeit ihrer roten Blutkörperchen auf körpereigenes Epo testen. Das geht. Man kann gucken, wie die Dichte für Andockstellen für Epo auf den Mutterzellen ist, aus denen die roten Blutkörperchen entstehen.

SZ: Hätte sie den Wert bei Olympia in Turin durch Trinken niedrig halten können?

Hiddemann: Wahrscheinlich. Sie hätte dann eine ganze Menge trinken müssen, um ihre Blutkonzentration zu verdünnen.

SZ: Ist das gesund?

Hiddemann: Es ist zumindest nicht natürlich.

SZ: Es scheint, die Hämoglobin-Kurven lieferten Argumente für beide Szenarien: Dafür, dass die Läuferinnen sauber sind und dafür, dass sie gedopt sind.

Hiddemann: Völlig richtig. Was hier veröffentlicht wird, ist grundsätzlich begrüßenswert und lässt den Schluss zu, dass Evi Sachenbacher-Stehle von ihrer Grundveranlagung her höhere Hämoglobin-Werte hat als in der Normalbevölkerung üblich. Man kann sagen: Die finnischen Läuferinnen könnten leichter manipulieren, weil Evi Sachenbacher ohnehin mit hohen Werten unter Verdacht steht, während die Finninnen immer deutlich unter dem Grenzwert schwanken. Mehr kann man aus diesen Werten ohne weitere Information nicht ablesen.

SZ: Was tun? Der Welt-Skiverband Fis will individuelle Blutprofile anlegen.

Hiddemann: Das finde ich richtig.

SZ: Aber heißt das nicht, dass Athleten sich bald so konsequent dopen können, dass die Wirkungen ihres Dopens in einem individuellen Blutprofil aufgehen?

Hiddemann: Das wäre grundsätzlich möglich. Um eine derartige Manipulation zu erkennen, muss man die Hämoglobin-Bestimmung mit einer Bestimmung des natürlichen Epo-Spiegels kombinieren. Diese beiden Werte verhalten sich gegensätzlich. Das heißt, wenn der Hämoglobin-Spiegel hoch ist, ist der Epo-Spiegel niedrig. Wenn aber die Hämoglobin-Werte hoch sind und auch der Epo-Spiegel hoch ist, dann wäre das in hohem Maße verdächtig auf eine Manipulation.

SZ: Warum?

Hiddemann: Das entspricht nicht der normalen Reaktion des Körpers. Dieses Spiel zwischen körpereigenem Epo und roten Blutkörperchen ist normal. Der Körper stellt sozusagen die Größen selbst richtig ein. Wenn zu viele Erythrozyten produziert werden, ist der Körper bestrebt, dieses Zuviel durch eine verminderte Produktion herunterzufahren, deswegen wird dann wieder weniger Hormon ausgeschüttet. Allerdings: Epo-Bestimmungen sind kompliziert und teuer.

SZ: Hätte es Evi Sachenbacher-Stehle etwas gebracht, vor Olympia behandeltes Eigenblut zu spritzen?

Hiddemann: Natürlich. Zustände wie in der Höhe können Sie auch dadurch herstellen, dass Sie dem Athleten Blut abnehmen, einen Aderlass machen. Dadurch wird die Zahl der roten Blutkörperchen vermindert, der Körper reagiert damit, dass er die Überproduktion anstößt, und wenn Sie dann diesem Menschen das Blut, das Sie ihm vorher abgenommen haben, wieder zuführen, haben Sie auch einen erhöhten Hämoglobin-Gehalt. Aber auch in diesem Fall müssten die natürlichen Epo-Spiegel erhöht sein.

SZ: Könnte man die natürlichen Epo-Spiegel im Nachhinein prüfen?

Hiddemann: Nein, aber man könnte für die Zukunft etwas festlegen. Wenn ich der betreuende Arzt wäre, würde ich Evi Sachenbacher-Stehle sagen: Wenn du solche Profile machst, lass immer gleich deine Epo-Spiegel mitbestimmen.

© SZ vom 21.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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