Blatter kontra Beckenbauer:Platzhirsche mit verkeilten Geweihen

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Vor der WM entwickelt sich eine Zerreißprobe zwischen dem Fifa-Präsidenten und dem OK-Chef.

Thomas Kistner

Die zwei müssten sich blind verstehen. Dem einen genügt nicht, dass seine Gemeinde "viel größer als die Katholische Kirche" ist - Sepp Blatter vereinnahmt gleich alle künftigen Generationen für seine Fifa, was auch biologisch gesichert ist, weil ja "bereits der Fötus im Mutterleib kickt". Ernsthaft. Zugleich vermag sich der andere geradezu aufzulösen in diesem Sport: "Ich habe das Gefühl, ich bin ein wandelnder Fußball. Ich muss ja schon ausschauen wie ein Fußball", dozierte Franz Beckenbauer am Montag bei ARD-Beckmann.

Franz und Sepp. Man kennt sie. Der eine spielt gern den Über-Papst und lässt sich überall auf der Welt - tatütata - mit Blaulicht am Privatjet abholen, der andere trägt den Titel Lichtgestalt und hat alle Philosophen konsumiert, "von Sokrates, Platon, Hegel, Kant bis Konfuzius" - nur sind ihm die Inhalte gleich "wieder verloren gegangen durch den Fußball. Ich weiß fast nichts mehr". Was Fußball alles anrichten kann. Nun ist es aber so, dass der Sepp und der Franz das größte Gesellschaftsereignis des Jahrzehnts hierzulande dirigieren, die Fußball-WM. Und weil sie bei jedem Auftritt von ehrfürchtigen Politikern, Managern, Journalisten flankiert werden, hört man nicht so genau hin, ob und was sie so mitzuteilen haben. Besonders in Deutschland, wo der Bedarf an Kultfiguren - Kaiser, Astralgestalten - seit Jahren konstant hoch und die gute Fußball-Laune seit dem WM-Zuschlag quasi per Regierungsdekret verfügt ist.

Beckenbauer hat Machtspiele erst spät durchschaut

Dumm nur: Sepp und Franz werden nie zusammenkommen. Vielmehr bahnt sich vorm WM-Anpfiff in sechs Wochen eine Zerreißprobe an. OK-Chef Beckenbauer und Sepp Blatter, Chef des Fußball-Weltverbandes Fifa, sind einander so zugetan wie Platzhirsche mit verkeilten Geweihen, es geht um alles: Wer kriegt ihn denn, den schönsten Platz an der Sonne? Der Sepp, der sogar die Allianz Arena umbauen ließ, damit sein Thron beim Eröffnungsspiel nach Cäsaren-Art auf Höhe der Mittellinie steht, oder Kaiser Franz, der zwar weniger bedeutende Ämter hat, aber deutlich höhere Sympathiewerte bei den Massen?

Es dauerte Jahre, bis Beckenbauer Blatters Machtspiele durchschaute. Der hatte ihm einst sogar die Thronfolge in Aussicht gestellt; so sichert man sich Wohlverhalten. Nach seiner Wiederwahl 2002 ließ Blatter dann flott den Wahlmodus ändern: Anstatt wie bisher am Vorabend einer Fußball-WM, wird nun im Jahr darauf gewählt. Das verhindert, dass im Juni in München ein neuer Fifa-Boss gekürt werden könnte - zum Beispiel ein Schwergewicht namens Beckenbauer, das sich in seiner Heimatstadt, aufgewertet durch die Rolle des WM-Gastgebers, zum Kandidaten aufschwingt.

Dass Beckenbauer reges Interesse am Fifa-Hochamt hegte, sprach sich zum Europaverband Uefa herum, dessen Präsident, der Schwede Lennart Johansson, ihm 2005 ebenfalls die Nachfolge anbot. Beckenbauer flirtete auch mit diesem Amt, nun aber hat er offenbar genug von den Funktionären. Als Verbandschef müsste er ja auch seine einträglichen Werbegeschäfte aufgeben.

Blatter aber witterte nicht nur in Beckenbauer einen gefährlichen Rivalen. An den Deutschen reibt sich der Schweizer besonders gern, die haben ihm schon viel Ärger beschert. Nicht nur wegen Leo Kirch, dem er einst die WM-Vemarktungsrechte für 2002/2006 zuschusterte und der dann mit seinem Bankrott 2002 auch die Fifa ins Trudeln brachte. Dazu kommt persönliches. Für die WM 1998, als Fifa-Pate Joao Havelange endlich abdankte und die Uefa dessen Adlatus verhindern wollte, war DFB-Chef Egidius Braun der starke Mann hinter Johansson, der gegen Blatter kandidierte.

Nach der korruptionsumwitterten Wahl in Paris beklagte Braun offen "Blatters schmutziges Spiel". Der wiederum musste nun sein Wahlversprechen an Afrikas Delegierte einlösen: Er hatte ihnen die WM 2006 in Südafrika in Aussicht gestellt. So wurde das Votum zum Rückspiel für die Europäer um Braun und Johansson, die sich nicht noch einmal austricksen lassen und unbedingt die WM nach Deutschland holen wollten. Acht der zwölf Stimmen für die DFB-Bewerbung kamen aus Europa. Was nebenbei auch das blühende Medienmärchen widerlegt, dass Beckenbauer die WM geholt habe: Für die Voten aus Europa war er gar nicht zuständig.

Zu späte Befreiungsschläge

Wieder hatten die Deutschen Blatter ins Handwerk gefunkt. Aber nun hatte er selbst den Hebel in der Hand: Der Fifa gehört die WM, im Marketing zog sie die Stellschrauben so stark an, dass das Land, die WM-Städte und das WM-OK selbst über den Regulierungswahn stöhnen. Doch das OK kuschte weiter, und die Fifa, die für sich und ihre Partner in Deutschland Befreiung von allen Steuern sowie von Visa-, Zoll- und Arbeitsbestimmungen herausschlug, wurde immer dreister. Der Verdacht, dass im WM-Land manches auch nur deshalb passiert, verdichtete sich, als die Fifa im Januar die Eröffnungsfeier in Berlin abblies, für die schon die Künstler präsentiert worden waren - zehn Millionen Euro kostete der Meinungsumschwung laut Beckenbauer, "das ist obszön". Oder Blatters Dauerkritik am umstrittenen Ticketverkaufssystem des OK. Beckenbauer zürnt: "Wir machen ja nix ohne die Fifa, die weiß bestens Bescheid!"

Wie stark sich Blatter wähnt, zeigte er auch, als es 2002 im DFB zum Aufstand gegen Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder kam. Angesichts des Sturzes seines Getreuen, der ihm in der Ära der dubiosen Kirch-Deals hilfreich war, mischte er sich gar öffentlich ein: Er könne "sehr, sehr böse werden". MV blieb im Amt, der DFB ernannte Theo Zwanziger zum Zweitpräsidenten. Das große Kuschen vorm Fußball-Sonnenkönig ist die Wurzel vielen Übels. Wohl nirgendwo auf der Welt werden die Fifa-Regeln in solch preußischem Gehorsam umgesetzt, Kritik schluckt man lieber herunter. Das meinte WM-Kulturchef Andre Heller, als er Montagabend bei Beckmann aussprach, was Beckenbauer denkt: Blatter und Konsorten werde "ständig derart unterwürfig begegnet, als sei er Präsident von Amerika und Frankreich in einem". Und das Schlimmste: "Niemand sagt einmal: Stopp!"

Zu spät übt Beckenbauers OK die Befreiungsschläge. Den Deutschen, selbst ja eher Freunde eines abstrusen Fußball-Personenkults, schwant, dass sich der Fifa-Tross im Sommer so richtig als Weltherrscher ohne Bodenhaftung aufführen könnte und der WM ein neues Kernthema droht. Doch das gibt es bereits: Jüngst eskalierte der Zwist , als publik wurde, dass Blatter bei der WM-Eröffnung ganz allein vor einem TV-Milliardenpublikum predigen will, OK-Chef Beckenbauer soll schweigen. Gellende Pfiffe wären ihm sicher für all die abgenudelten Fairplay-Appelle.

Nun will Blatter bei einem Treff mit dem WM-OK zwar weiter in den wunden Themen Ticketing und Sicherheit herumstochern, aber auch den guten Onkel aus Zürich spielen: Dass Beckenbauer nicht reden dürfe, stünde nicht fest, erklärte er. Die Absicht ist klar: Indem der Sepp persönlich den Franz in die Bütt ruft, soll vom Applaus auch für ihn was abfallen. Und der Sepp braucht sich nicht zu sorgen, dass der Franz ausspricht, was im OK und anderswo längst feste Überzeugung ist: Dass in Deutschland eine WM mit Fifa-Behinderung stattfindet. So viel Fairplay muss sein.

© SZ vom 26.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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