Besuch in Sotschi vor Olympia:Dicke Luft im Luftkurort

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Wladimir Putin besichtigt die Olympia-Sprungschanze. (Foto: REUTERS)

Einst war Sotschi eine beschauliche Sommerfrische am Meer, in der sich vor allem eines finden ließ: Ruhe. Dann holte Wladimir Putin die Winterspiele. Für Olympia wurde die Gegend rücksichtslos umgekrempelt. Ein Besuch - zehn Wochen, bevor der große Rummel beginnt.

Von Carsten Eberts, Sotschi

Sotschi ist ein absurder Ort. Etwa im Stadtteil Adler, im Olympischen Dorf, nur wenige Fußminuten von den nagelneuen Arenen entfernt. Die kleinen Häuschen sind hell gestrichen, schmale Wege führen von Baracke zu Baracke, noch wenige Wochen, dann sollen die ersten Athleten der Winterspiele hier einziehen. Doch an diesem Tag im November sind es draußen 18 Grad. Das Meer ist nur einen Steinwurf entfernt, ein warmer Wind weht herüber, überall stehen Palmen, groß, grün, kräftig. Die Bauarbeiter tragen T-Shirts, sie haben sich um das Schwimmbecken versammelt.

Exakt: Im Hof des Athletendorfs steht ein Swimmingpool.

Vor fünf Jahren war Sotschi ein Badeort. Eine beschauliche Kurstadt mit subtropischem Klima, in der das Leben viel langsamer lief als in Moskau oder Sankt Petersburg, ohne Wolkenkratzer oder Hotel- komplexe. Kleine Häuser aus gelbem Sandstein, maximal fünf Stockwerke hoch, prägten die Straßen. Wo heute die großen Sportarenen stehen, war damals eine grüne, stoppelige Wiese - nichts hat darauf hingedeutet, dass hier bald das wichtigste Wintersportereignis der Welt stattfinden würde. Sotschi hatte nicht mal eine nennenswerte Sporttradition. Bis Wladimir Putin entschied, genau das zu ändern.

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2007 hat die Stadt am Schwarzen Meer auf intensives Werben des Staatspräsidenten und einflussreichen Sportlobbyisten den Zuschlag erhalten, ein Jahr ging für die Planung drauf. Dann haben sich die Baufirmen über die 400 000-Einwohner-Stadt hinweggewalzt: Es wird hier furchtbar viel Geld ausgegeben. Bis zu 50 Milliarden Euro dürften die Spiele verschlingen, über die Hälfte davon geht für Infrastruktur drauf, für Straßen, Bahntrassen, Brücken. Vancouver 2010 kostete etwa ein Zehntel der Summe, die nun in Sotschi fällig wird.

Rund 70 Tage vor der Eröffnungsfeier rumpelt und dröhnt es überall, der Baumlärm nervt gewaltig, doch es geht dem Ende zu. Im "Bolschoi"-Eispalast wurde das Wintergefühl künstlich geschaffen, die Arena blitzt und blinkt, die Luft wurde auf knapp über null Grad heruntergekühlt. Zwei Arbeiter sprühen aus einem Schlauch einen dünnen Wasserfilm auf die graue Betonplatte: Hier entsteht das Eis, auf dem die Russen Eishockey-Olympiasieger werden wollen. Fünf weitere Prachtbauten stehen in Fußentfernung: die "Schaiba"-Eisarena, der Eislaufpalast, zwei Stadien für Eisschnelllauf und Curling, daneben "Fisht", das neue Olympiastadion.

Oben in den Bergen, am zweiten Standort der Spiele, wurde ebenfalls massiv gebaut. Nur eine halbe Stunde soll die Fahrt für die 40 Kilometer vom Meer bis nach Krasnaja Poljana mit dem Zug dauern. Mit dem Schnee haben sie dort keine Probleme, doch statt einer modernen Anlage für alpine Skiwettbewerbe gab es vor zwei Jahren lediglich eine kleine Bergstation mit einem Skilift. Aus dem Nichts, in einer kleinen Talsenke, entstand deshalb ein paar Kilometer weiter der Ort Rosa Chutor.

Die Häuser in Rosa Chutor haben angeschrägte Dächer, der Putz ist in Pastell- tönen gehalten. Der Oligarch Wladimir Potanin gilt als viertreichster Mann des Landes. Nun hat er sich für rund 50 Millionen Euro ein eigenes Skiressort geleistet, eine perfekte Welt ohne Macken, eine Mischung aus Sölden und Disneyland. Dafür musste viel Natur weichen, Bäume wurden gefällt, Flüsse begradigt, ganze Hänge abgetragen. Genau wie drüben in Krasnaja Poljana, wo die neue Skisprungschanze und das Biathlon-Zentrum "Laura" stehen. "Wir entschuldigen uns für jeden Baum, der gefällt werden musste", sagt Andrej Markow vom Organisations- komitee schuldbewusst. Dann lacht er.

Noch nie wurde eine Gegend für Olympische Spiele so rücksichtslos umgekrempelt. Einer, der das alte Sotschi noch kennt, ist Hamlet Watjan, 64. Er kommt aus Armenien, wie etwa ein Drittel der Bevölkerung Sotschis, lebt seit 36 Jahren hier. Er leitet eines der vielen Sanatorien, in denen die Russen seit Stalins Zeiten ihren Urlaub verbringen. Sotschi war einst das liebste Reiseziel des Landes, auch Watjan liebte das Leben hier, die Ruhe war sein Geschäfts- modell. Doch daran ist nicht mehr zu denken. "Es ist unglaublich viel Lärm", sagt Watjan, streicht seine weißen Haare glatt, blickt raus auf die Straße. Schwere gelbe und rote Kipplaster mit Baumaterial poltern vorbei. Gegen die große Straße könnte eine Lärmschutzwand helfen. Aber wie sieht das aus: eine Lärmschutzwand in einem Luftkurort? "Sotschi verliert seinen Charakter", bedauert Watjan und kann dies an Zahlen festmachen. Früher hätte jeder Einwohner umgerechnet 150 Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung gehabt. Jetzt, sagt Watjan, sind es nur noch 30.

Als Kurort geht Sotschi nur noch schwerlich durch. Die Stadt brummt, nicht nur wegen der LKW, auch wegen der Nachtclubs, der Hotelkomplexe, der vielen Gastarbeiter, die morgens in die Stadt kommen und abends wieder fahren. "Wir haben jetzt einen neuen Status", stellt Schanna Grigorjewa, die die Delegation zur Realisierung der Olympischen Spiele leitet, hochzufrieden fest: "In den Siebzigern war Sotschi eine Rentnerstadt. Heute genügt es modernen Anforderungen."

Sotschi hat eine komplett neue Infrastruktur erhalten, etwa die vierspurige Hauptverkehrsader von den Bergen bis zum Meer. Eine existierende Straße hätte ausgebaut werden können, doch man entschied sich für die teure Variante, den kompletten Neubau, mitten durch die Natur. Die "teuerste Straße Russlands", schimpft der Kreml-Kritiker Boris Nemzow. Ein Kilometer kostet 200 Millionen Euro, rechnet er vor, von den Umweltschäden ganz zu schweigen. Doch Geld spielt keine Rolle.

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Die vergangenen Jahre waren hart für die Menschen in Sotschi. Am schlimmsten traf es diejenigen, die umgesiedelt wurden, teilweise mit roher Gewalt, deren Häuser den neuen Straßen weichen mussten. Wer bleiben durfte, dem wurden ständig Strom und Wasser abgestellt. Nun sind die Menschen froh, dass alles bald ein Ende hat. Sagt auch Watjan, der Mann mit den weißen Haaren, der sich trotz aller Widrigkeiten auf die Spiele freut. Seine Hoffnung ist, dass Sotschi vor einer besseren Zukunft steht. "Der Präsident hat versprochen, dass er dafür sorgt, dass alle Sportstätten ausgelastet sein werden", erzählt Watjan. Daran zweifeln die Kritiker.

Was wird bleiben, wenn die Spiele vorbei sind? Sotschi soll zu einem ganzjährigen Urlaubsdomizil werden. Einige der teuren Bauten werden zu nationalen Leistungszentren umgemodelt, etwa im Biathlon, andere werden zu Messehallen umfunktioniert. Wenn die Gäste aus aller Welt fort sind, gibt es zudem 40 000 Hotelbetten in Sotschi. Kaum vorstellbar, dass diese künftig annähernd ausgelastet sind. Viele fürchten, dass alles in einer gigantischen Immobilienblase endet.

Es wird einiges versucht, damit es so schlimm nicht wird. Einige Partien der Eishockey-WM 2016 sollen hier stattfinden, auch für die Fußball-WM 2018 wird Sotschi einer der Austragungsorte sein. Doch diese Großereignisse werden nicht ausreichen. Neben den Olympiaanlagen entsteht gerade ein Freizeitpark, ein Märchenland nach holländischem Vorbild; der Flug- hafen hat ein neues Terminal bekommen. Die Hoffnung ist, dass bald nicht mehr nur Flugzeuge aus Moskau, sondern aus ganz Europa in Sotschi landen. Bis Herbst 2014 soll auch die neue Formel-1-Strecke fertig werden, ein Stadtkurs, der sich um die Olympiastadien herum schlängelt, die modernste Rennstrecke Russlands.

Sotschi soll mehr sein als nur die Stadt, die einmal die Olympischen Winterspiele austragen durfte. Egal, zu welchem Preis. Und sei es dank einer Piste für PS-Monster in einem Luftkurort.

Die Recherchereise nach Sotschi wurde von journalists.network organisiert und von den Förderern des Vereins teilweise mitfinanziert.

© SZ vom 30.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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