Berlin:Perfekte halbe Stunde

Lesezeit: 2 min

Brutale Entscheidung: Sebastian Boenisch (links) wurde nach seinem robusten Grätsche gegen früh des Feldes verwiesen. (Foto: Thomas Eisenhuth/dpa)

Hertha BSC überrascht Leverkusen und verteidigt forsch nach vorne. Als Lohn für diesen Mut steht die Mannschaft aus der Hauptstadt in der Bundesliga-Tabelle so gut da wie lange nicht.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

Der Gesangsfundus in der Ostkurve des Berliner Stadions ist in den vergangenen Wochen um ein Stück größer geworden. Seit sich der Fußballverein Hertha BSC in der oberen Tabellenregion der Bundesliga festgesetzt hat, skandieren die Fans ein neues Lied. Die Melodie ist einfach, der Text auch - er hat nur ein Wort: "Europapokal". Gesänge wie diese kannte man bisher eher aus der Arena von Bayer Leverkusen, wo seit der Jahrtausendwende verlässlich internationale Begegnungen abgehalten werden. Nach dem 2:1-Heimsieg der Hertha am Samstag gegen eben jene Werkself spricht jedoch einiges dafür, dass deren Heimspiel am Mittwoch gegen den FC Barcelona für längere Zeit der letzte Leverkusener Champions League-Auftritt sein könnte.

Leverkusen ist jetzt Achter (Rudi Völler: "natürlich viel zu wenig"), Hertha steht dagegen zwei Spieltage vor der Winterpause so gut da wie lange nicht. Punktgleich mit dem Tabellendritten Gladbach liegen die Berliner auf Rang fünf, der zur Teilnahme an der Europa League berechtigt. Mit 26 Punkten nach 15 Spielen lässt sich sagen, dass der Berliner Vorstoß in die Europacupränge mehr ist als eine Momentaufnahme -und was die Männer von Trainer Pal Dardai in der Anfangsphase zeigten, gefiel dem gerne mal besonders kritischen Anhang vorzüglich. Genki Haraguchi und der wiedergenesene Mitchell Weiser bereiteten den Leverkusener Verteidigern einen höchst unangenehmen Nachmittag, immer wieder kombinierten sich die Berliner über die Außen mit feinen Passstafetten in den Strafraum. Dass lediglich Vladimir Darida traf (7.), lag auch daran, dass Weiser vor lauter Kreativität die Präzision im letzten Pass vermissen ließ. Dardai gefiel der Auftritt seiner Mannschaft aber, die erste halbe Stunde sei "perfekt" gewesen, sagte er. Genauer gesagt meinte er die ersten 28 Minuten, denn dann tauchte plötzlich Leverkusens Chicharito vor dem Berliner Tor auf und chippte den Ball so elegant an Keeper Rune Jarstein vorbei ins Netz, wie es wohl nur Mittelamerikaner vermögen (29.

). In Berlin geht es weniger lässig zu, Dardais Elf neigt immer mehr zu seriösen Auftritten, an deren Ende meist drei Punkte stehen. Die Abwehr um Kapitän Fabian Lustenberger kontrolliert das Geschehen von hinten heraus. Wenn die Angreifer den Ball verlieren, dauert es nur wenige Sekunden, bis zehn Herthaner Feldspieler die eigene Hälfte zustellen. Dass Dardais Geheimnis in der Verteidigung liegt, zeigt auch die Statistik. Zum gleichen Zeitpunkt in der Vorsaison hatte die Hertha ebenfalls 20 Tore auf dem Konto, wurde allerdings auf Rang 13 geführt und steckte in akuter Abstiegsgefahr. Damals standen 26 Gegentore zu Buche, derzeit sind es 18. Auch deshalb spricht vieles dafür, dass die aktuelle Spielzeit nicht wie in der Vorsaison auf Rang 15 enden dürfte.

Und jetzt also der erste Sieg gegen einen Großen, einen Champions-League-Teilnehmer. Vor einer Woche hatten die Berliner nach dem ersten Gegentor beim Gastspiel in München (0:2) nur noch Schadensbegrenzung betrieben. Diesmal sah man es an der Spielweise der Dardai-Elf, dass es eine andere Taktik sein sollte. "Wir haben nach vorne verteidigt", sagte der Coach. "Ich habe das Konzept verändert, damit wollten wir die Leverkusener überraschen." Überraschend war vor allem, dass die spielstarke Bayer-Elf den Berlinern nach der Pause wieder nur hinterherlief.

Im 4-4-2 zirkulierte der Berliner Ball so sicher, dass die Leverkusener am Ende nur 40 Prozent Ballbesitz verbuchten - und obwohl Ömer Toprak seinen Gegenspieler Weiser bisweilen abprallen ließ wie eine Wand, dürfte es lästig gewesen sein, die Berliner Angreifer immer wieder aus dem Strafraum zu scheuchen. In der 60. Minute köpfte dann Verteidiger John Anthony Brooks einen Eckball zum 2:1 ins Tor, ab diesem Moment ließ Hertha keine Gefahrenmomente mehr zu. "Egal, wie wir spielen und wer auf dem Platz steht, es funktioniert", sagte Lustenberger. Es klang nach einer Analyse - und ein wenig wie eine Drohung.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: