Behinderte Fußballfans:Ein Fest für alle

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Bei den Fanfesten ist es schwierig, in den Stadien aber kein Problem: Wie sich die WM auf behinderte Fans eingestellt hat.

Keyvan Dahesch und Claudia Wessel

Im ersten Moment ist es vielleicht schwer vorstellbar: Ein Spiel verfolgen, ohne es sehen zu können? Jubeln, ohne die Schreie der anderen zu hören? Trotzdem sind behinderte Menschen bei dieser WM oft genauso nah dran wie Nichtbehinderte.

Wenn es auch bei den meisten Fanfesten schwierig sein mag, mit dem Rollstuhl einen guten Platz zu erwischen - in den Stadien wurde vorgesorgt. Barrierefreie Zugänge sind ebenso selbstverständlich wie die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel.

Die zwölf WM-Stadien haben 1380 Plätze für Menschen im Rollstuhl und ebenso viele für deren Begleiter. Insgesamt 4500 Tickets für die 64 Spiele, damit also durchschnittlich 70 pro Spiel, hat die Fifa ihnen und ihren Begleitern angeboten. Pro Stadion gibt es zwischen 60 und 200 Rollstuhlplätze.

Blinde Fußballfans und ihre Begleiter bekommen jeweils 20 Karten. Außerdem gibt es eine so genannte Audiodeskription - das Geschehen auf dem Platz wird ihnen von Kommentatoren geschildert, ähnlich wie eine Live-Übertragung im Radio. Nur plastischer.

Für gehörlose Menschen wiederum seien die Informationen "nach wie vor sehr sehr dürftig", beklagt Reinhard Kirchner, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Bayern, einer "Interessenvertretung chronisch Kranker und behinderter Menschen und ihrer Angehöriger".

Kirchner findet: "Man könnte den gehörlosen Menschen bei Fernsehübertragungen mit Untertiteln noch mehr helfen, damit sie bestimmte Zusammenhänge mitbekommen, die nicht nur von den Bildern kommen. Die Bilder können sie natürlich verfolgen, aber wieso genau ein bestimmtes Foul nun ein Foul war - was ja sonst vom Kommentator erklärt wird -, das bekommen sie ja nicht mit."

Zweite WM

Es gäbe ja auch die Möglichkeit, dass man einen Kanal für Audiodeskription einrichtet, so Kirchner. In den Stadien selbst findet er aber "mittlerweile alles sehr vorbildlich, sowohl für Rollstuhlfahrer als auch für Blinde".

Natürlich interessieren sich auch geistig behinderte Menschen für die Fußball-Weltmeisterschaft, sagt Jürgen Auer, Geschäftsführer des Landesverbandes Lebenshilfe Bayern. "Sie gehen genauso wie wir alle in die Public-Viewing-Bereiche und, wenn sie Karten bekommen, auch in die Stadien."

Was bisher noch wenige wissen: Vom 26. August bis zum 16. September wird es eine zweite Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland geben, nämlich die INAS-FID, die "Fußball-WM der Menschen mit geistigen Behinderungen". Sechs Vorrundenspiele finden in München statt, weitere Spiele in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen und vom Achtelfinale an schwerpunktmäßig in 20 Städten in Nordrhein-Westfalen.

Die Spiele werden zwar durchaus in richtigen Fußballstadien ausgetragen, zum Beispiel in der Köln Arena oder der Bay-Arena in Leverkusen, doch nicht in den WM-Stadien. "Diese Zuschauerzahlen werden wir natürlich nicht erreichen", sagt Auer. "Und vor 90 Prozent leeren Rängen zu spielen, macht auch keinen Spaß."

Totale Begeisterung

Es spielen die Nationalmannschaften der Menschen mit Behinderungen. In München etwa die Mannschaften aus Portugal, Südafrika, Frankreich, Brasilien - "eine tolle, auch technisch sicherlich sehr gute, von der Atmosphäre her südländisch feurige Mannschaftskombination", schwärmt Auer.

"Es gibt in unseren Einrichtungen ja ganz viele Sport- und Fußballclubs, deren Mitglieder leidenschaftlich gerne spielen. Die sind sportlich total begeistert." Es gibt auch einen eigenen Fanclub für diese WM der Menschen mit geistiger Behinderung, den FC Leidenschaft (Informationen unter www.inas-fid-wm2006.com).

Mit der Ausstattung der Stadien für Blinde ist Elke Runte, Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes, sehr zufrieden. "Die zwölf WM-Stadien haben ja alle einen besonderen akustischen Service, sind mit einem Empfänger oder speziellen technischen Einrichtungen ausgestattet.

Da diese Einrichtungen auch nach der WM in den Stadien bleiben, ist das aus unserer Sicht eine große Verbesserung für blinde Fußballfans." Elke Runte findet, dass die WM viel besser auf blinde Menschen eingerichtet ist als beispielsweise der Kulturbetrieb.

"Da gibt es zwar ab und zu Hörtheater, das sind dann aber spezielle Behinderten-Veranstaltungen. Beim Fußball dagegen können Blinde an den ganz normalen Spielen teilhaben."

© SZ vom 29.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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