Basketball:Zwei für die Nische

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Dunkings sind nicht unbedingt sein Spezialgebiet, kann er aber auch: Als Combo-Guard gibt Wade Baldwin eher den klassischen Spielmacher und den treffsicheren Schützen aus der Distanz. (Foto: Tilo Wiedensohler/Camera 4/imago images)

Die als Meister entthronten Basketballer des FC Bayern basteln an einem Kader, um die enttäuschende Saison in eine bessere zu transformieren.

Von Ralf Tögel

Der Klub habe "etwas zu beweisen", befand Marko Pesic, als der Geschäftsführer der Basketballer des FC Bayern München den ersten Zugang der Saison präsentierte. Neben ihm saß der Italiener Andrea Trinchieri, sozusagen die Schlüsselfigur des Vorhabens, die missliche vergangenen Saison in eine bessere künftige zu transformieren. Salopp gesagt, soll der neue Trainer dem zuletzt so pomadig auftretenden Personal Beine machen, die Leidenschaft im Kader neu entfachen, den Siegeswillen in die Reihen der Münchner zurückbringen. Dass Trinchieri eben dies hervorragend umzusetzen weiß, hat er bei all seinen bisherigen Stationen bewiesen, vor allem sein Wirken in Bamberg ist den Bayern in Erinnerung: Das Gros der bedeutenden Bamberger Siege ging auf Kosten der Münchner.

Es fehlte allerdings noch das notwendige Personal. Zwar ist der Kern der Münchner Mannschaft mit Spielern wie Vladimir Lucic, Nihad Djedovic, Petteri Koponen oder Paul Zipser nicht gerade schlecht besetzt, aber die Weggänge von prominenten Akteuren wie Kapitän Danilo Barthel, NBA-Center Greg Monroe oder Spielmacher Maodo Lo reißen doch gewaltige Lücken.

Bei Piräus hatte Wade Baldwin einen unglücklichen Start auf dem europäischen Parkett

Doch nun hat der entthronte deutsche Meister seine ersten neuen Spieler präsentiert: Wade Baldwin IV wechselt von Olympiakos Piräus an die Isar, und sein amerikanischer Landsmann Malcolm Thomas kommt von Fenerbahce Istanbul, beide Klubs sind gestandene Euroleague-Konkurrenten der Münchner. Vor allem Baldwin könnte nicht besser zu den Bayern passen, denn auch er hat etwas zu beweisen. Der 24 Jahre alte Combo-Guard kann den klassischen Spielmacher geben, ist aber auch treffsicherer Schütze aus der Distanz. Baldwin wurde bei der NBA-Draft 2016 in der ersten Runde an Position 17 von den Memphis Grizzlies in die beste Liga der Welt berufen, wechselte nach einem Jahr bei den Grizzlies zu den Portland Trail Blazers, ehe er im Februar 2019 in die berüchtigten Wechselmühlen der NBA geriet: Zunächst gingen seine Rechte in einem Transferpaket an die Cleveland Cavaliers, drei Tage darauf an die Houston Rockets, um nur wenig später an die Indiana Pacers verschachert zu werden. Schließlich landete er bei den Toronto Raptors, wo er einige Partien für deren Farmteam absolvierte. Insgesamt stand Baldwin in 56 NBA-Partien auf dem Parkett, der Durchbruch gelang ihm nicht, die meisten Spiele absolvierte er für die Farmteams der großen Klubs in der G-League.

Auch sein Wechsel nach Europa war nicht unbedingt von Harmonie begleitet, denn sein Arbeitgeber Olympiakos Piräus war in einen enervierenden Kleinkrieg mit dem verhassten Konkurrenten Panathinaikos Athen verstrickt. Nach mehreren Eklats mit gegenseitigen Provokationen, fühlten sich die Olympiakos-Verantwortlichen von den Schiedsrichtern derart betrogen, dass sie fortan ausländische Referees forderten. Als der Verband der Forderung wenig überraschend nicht nachkam und Olympiakos das erste Playoff-Spiel in Athen boykottierte, wurde der Klub in die zweite Liga strafversetzt - wo er seitdem mit einem B-Team spielt. Was für Außenstehende eine lustige Posse sein mag, ist für einen Neuling aus der NBA alles andere als eine idealer Start auf dem Kontinent. Denn die hochbezahlten Profis des griechischen Traditionsklubs spielten ausschließlich in der Euroleague. Wenig verwunderlich freut sich Baldwin nun auf "weit mehr als 60 Spiele, wie es üblich ist". Und wie er es gewohnt ist. Es gibt also den erhofften Neuanfang, bei dem Baldwin endlich zeigen will, was in ihm steckt. Denn auch in dem halben Jahr bei Piräus, ehe die Corona-Pandemie weltweit den Basketball lahmlegte, gelang ihm das nur phasenweise. Unter anderem aber beim Gastspiel im Audi Dome, das die Griechen zwar 82:85 verloren, wobei Baldwin aber mit 19 Zählern ihr bester Mann war.

"Malcolm wird uns mit seinem Basketball-IQ und seiner Athletik im Frontcourt helfen", sagt Baiesi

Am Dienstag gaben die Münchner dann den Wechsel von Malcolm Thomas bekannt, der 31-Jährige stopft eine Lücke unter ihrem Korb. Mit seinen 2,06 Metern Größe kann der Power Forward auch auf der Position des Centers spielen, ähnlich wie der nach Fenerbahce gewechselte Danilo Barthel - ein positionsgetreuer Tausch also, wenn man so will. Thomas könnte sich in München bemüßigt fühlen zu beweisen, dass es ein Fehler war, ihn gehen zu lassen. Also noch einer, der ins Beuteschema der Münchner passt: Wieder einer, der etwas zu beweisen hat. Der sprungstarke Athlet aus Columbia/Missouri, erhält zunächst einen Vertrag für eine Spielzeit mit der Option auf ein weiteres Jahr. Im Gegensatz zum Kollegen Baldwin ist er bestens mit dem europäischen Parkett vertraut, Thomas lief außer für den türkischen Traditionsklub bereits für die nicht weniger prominenten Euroleague-Vertreter Maccabi Tel Aviv und Khimki Moskau auf. Zudem kann er 40 Einsätze in der NBA aufweisen: Er spielte für San Antonio, Golden State, Chicago, Utah und Philadelphia. Allerdings wurde er wie Baldwin nie richtig sesshaft, was ja vielleicht in München gelingt: "Ich bin sehr motiviert und gespannt auf die große Möglichkeit, für einen Klub wie Bayern zu spielen."

Sportdirektor Daniele Baiesi ist von beiden Akteuren überzeugt: "Malcolm ist inzwischen ein Euroleague-Routinier, er wird uns mit seiner Erfahrung, seinem Basketball-IQ und seiner Athletik im Frontcourt erheblich weiterhelfen." Um Baldwin hatte sich Baiesi schon vor einem Jahr bemüht, damals konnte Piräus mehr bieten. "Wade wird uns vor allem eine enorme Zähigkeit, Härte, Energie und Physis geben, und das auf beiden Seiten des Courts. Wir haben uns schon vor einem Jahr intensiv mit ihm beschäftigt, jetzt hat es glücklicherweise geklappt und er hat ebenfalls ein großes Verlangen gezeigt, zu uns zu kommen." Beide Akteure sind also von jenem Zuschnitt, den Trainer Trinchieri als Nische beschrieben hatte: hochtalentiert, aber unter den Möglichkeiten geblieben oder verkannt. Damit dürften die Arbeitsstellen der Nationalspieler Lo und Barthel ersetzt sein. Gefunden werden müsste aber noch mindestens ein großer Spieler, idealerweise ein gelernter Center. Man kann davon ausgehen, dass das italienische Trainer-Sportdirektor-Duo sicher schon eine Idee hat.

© SZ vom 29.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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