Basketball:Mehr als nur ein Team

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Modell-Athlet: Kapitän Niels Giffey ist einer der ersten Zöglinge von Albas Vorzeigeprojekt. (Foto: Bernd König / imago)

In den 30 Jahren seines Bestehens hat sich Alba Berlin auch zu einem sozialen und gesellschaftlichen Faktor in der Hauptstadt entwickelt.

Von Joachim Mölter, Berlin

Über die Sache mit den Cheerleadern möchten sie beim Basketball-Bundesligisten Alba Berlin gar nicht mehr reden, die haben sie von links wie von rechts um die Ohren gehauen bekommen. Als der Klub vor Saisonbeginn mitteilte, seine "Alba Dancers" in den Spielpausen nicht mehr übers Parkett tanzen zu lassen, weil "das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit passt", waren sich Konservative wie Feministinnen ausnahmsweise mal einig, dass die Abschaffung der Tänzerinnen ein Skandal sei - aus völlig unterschiedlichen Gründen und unabhängig davon, ob sie überhaupt schon mal ein Basketballspiel mitsamt dem Rahmenprogramm gesehen hatten. Die geballte Kritik in den Sozialen Medien hat die Alba-Verantwortlichen arg mitgenommen.

Aber wenn die Aufregung um die Cheerleader etwas Gutes hat, dann ist es die Bestätigung, dass Alba Berlin mittlerweile das ist, was es schon immer sein wollte und was beispielsweise auch der große FC Barcelona behauptet zu sein: "més que un club" - mehr als ein Klub. Nämlich eine Organisation, die auch gesellschaftliche, politische, soziale Debatten anstößt. "Es geht uns nicht nur darum, wie man eine Mannschaft besser macht und mehr Körbe erzielt", erklärt Geschäftsführer Marco Baldi, "sondern auch, wie man aktiver Teil der Gesellschaft wird und mitgestaltet."

Überregional wird Alba Berlin natürlich immer noch in erster Linie als BasketballTeam wahrgenommen, achtmal deutscher Meister, neunmal Pokalsieger. Am Sonntag (15 Uhr/Sport 1) treten die Berliner zum Bundesliga-Spitzenspiel beim aktuellen Titelträger FC Bayern München an. Es ist das Gipfeltreffen der beiden letzten unbesiegten Klubs (je 10:0 Punkte), das 50. Duell in einem Pflichtspiel, und wie immer eine prestigeträchtige Angelegenheit. Beide Klubs waren gerade noch in der Euroleague unterwegs, wo sie jeweils verloren, die Berliner am Donnerstag bei Maccabi Tel Aviv (78:104), die Münchner am Freitag bei Fenerbahce Istanbul (82:90).

In Berlin feiern sie in diesen Tagen den 30. Jahrestag des Mauerfalls, bei Alba auch den 30. Jahrestag der Vereinsgründung. Zunächst hieß der Klub BG Charlottenburg, nach dem Einstieg des Recycling-Unternehmens Alba als Sponsor wurde er zwei Jahre später umbenannt. So wie sich die Stadt in den vergangenen drei Jahrzehnten geändert hat, so hat sich auch der Verein gewandelt. In der Berlin waren die Basketballer die ersten, mit denen sich die Einwohner im Osten wie im Westen identifizierten, anders als etwa die Fußballer von Hertha BSC (West) oder die Eishockey-spielenden Eisbären (Ost); mittlerweile ist Alba auch ein sozialer Faktor. In mehr als 120 Schulen und 50 Kitas sorgen Alba-Trainer dafür, dass sich rund 10 000 Kinder bewegen, nicht nur mit dem Basketball. Das Konzept dafür stammt vom früheren Nationalspieler Henning Harnisch, mittlerweile Vizepräsident bei Alba. Der 50-Jährige wollte etwas gegen die allgemeine Bewegungsarmut von Kindern tun, "wir wollten einen leichteren Einstieg in den Sport bieten, mit neuen Anreizen", erzählt er. Vor rund einem Jahrzehnt schob er ein Programm an, installierte Grund- und Oberschulligen (was der Handball-Bundesligist Füchse Berlin inzwischen auf seine Sportart überträgt). Das Ganze war natürlich nicht nur Selbstzweck, wie der Europameister von 1993 zugibt. Ein Ziel war auch: "Mehr Alba-Profis aus dieser Stadt."

Wenn Alba Berlin am Sonntag beim Starensemble des FC Bayern antritt, dann werden bemerkenswert viele Eigengewächse dabei sein, die das Nachwuchsprogramm durchlaufen haben: Niels Giffey, 28, Tim Schneider, 22, Jonas Mattisseck, 19, vielleicht noch Malte Delow, 18. Manager Baldi findet es "schön, was in den letzten Jahren passiert ist: Wenn die Breite, die wir geschaffen haben, die Spitze beatmet. Wenn zunehmend Spieler aus dem eigenen Programm kommen und viele andere motivieren, es ihnen nachzutun".

Nur aus eigener Kraft schafft es freilich auch Alba nicht, mit der nationalen und der internationalen Spitze zu konkurrieren. "Sportlich war wichtig, dass die Spanier gekommen sind", sagt Harnisch und meint damit Himar Ojeda, 47, der vor dreieinhalb Jahren als Sportdirektor nach Berlin umzog und den legendären Trainer Alejandro Garcia Reneses, kurz Aito, nachgeholt hat. "Die Arbeitskultur, die in den letzten Jahren aufgebaut wurde, ist sehr positiv. Es ist ein angenehmer Druck", schwärmt Teamkapitän Giffey: "Man sieht, dass Spieler sich verbessern. Man sieht in der Liga, dass andere Teams den Spielstil von Aito kopieren. Er ist ja so ein Professor von der Art und Weise, wie er lehrt." Der 72-Jährige gilt als Talentschmied, auch das ist ein Grund, warum Alba mit seinem relativ jungen Team zuletzt Bundesliga-, Pokal- und Eurocup-Finals erreichte. "Wir haben zwar keinen Titel geholt", gibt Giffey zu, "aber wir standen kurz davor. Und wenn man irgendwas Positives daraus ziehen kann, dann, dass wir nicht satt sind."

Bei Alba sehen sie die Bundesliga-Männer als "Leuchtturm", der interessierten Talenten den Weg zu einer Profikarriere weist, wenn sie das möchten. So einen Leuchtturm wollen sie nun auch mit ihrer Frauen-Mannschaft bauen, die gerade in die zweite Liga aufgestiegen ist. "Bei den Mädchen wächst der Druck von unten, da werden in fünf Jahren viele Gute nachkommen", sagt Harnisch. Und diese Mädchen sollen nicht Tänzerinnen als Vorbild zu sehen bekommen, sondern Spielerinnen. Am 23. November veranstaltet der Klub einen Doppelspieltag in der Mercedes-Benz-Arena, da dürfen die Alba-Frauen die große Bühne genauso lang bespielen wie die Männer, nicht mehr nur die Pausen füllen.

© SZ vom 10.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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