Basketball:Doppelte Gefahr

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Durchsetzungsstark: Ulms Kapitän Per Günther. (Foto: Michael Schepp/imago)

Die Ulmer Spielzüge sind selten auszurechnen, dabei sind sie nichts Außergewöhnliches. Spektakulär ist die mannschaftliche Ausgeglichenheit.

Von Matthias Schmid, Ulm/München

Der Auftritt von Amar'e Stoudemire an diesem Mittwoch in Ulm ist für Kenner des Basketballsports eine besondere Verlockung. Der US-Basketballer spielte in den Nullerjahren bei den Phoenix Suns mit Spielmacher Steve Nash den wohl unterhaltsamsten Basketball seiner Zeit, den Basketball des 21. Jahrhunderts, wie einige damals in der NBA glaubten. Die Suns schlossen ihre Spielzüge innerhalb von weniger als sieben Sekunden meistens mit einem Dunk Stoudemires ab. Dreimal erreichten sie das Conference-Finale, dreimal scheiterten sie am Versuch, den Titel nach Phoenix zu holen. Auf der Suche nach einem letzten Abenteuer landete der 33-Jährige im Sommer in Europa, er unterschrieb einen Vertrag bei Hapoel Jerusalem. Und der zweitklassige Eurocup will es jetzt so, dass Stoudemire in Ulm antritt. Dass ein Großer seines Sports nun in der Stadt vorbeischaut, hebt bei den Basketballern des Bundesligisten indes nicht einmal den Ruhepuls an. Behauptet zumindest Spielmacher Per Günther. "Dass Stoudemire hier spielt, wird innerhalb der Mannschaft überhaupt nicht registriert. Wir sind alles Profibasketballer und erwachsene Männer, die gegen andere erwachsene Männer das Spiel gewinnen wollen", betont der 28-Jährige.

Es ist diese nonchalante Art von Günther, die sich längst auf alle Ulmer Basketballer übertragen hat. "Absolut kurios" findet Günther ohnehin den Saisonauftakt mit acht Siegen in acht Bundesligaspielen, mit dem die Ulmer den eigenen Startrekord aus der Spielzeit 2011/12 eingestellt haben und hinter Meister Bamberg auf Platz zwei der BBL stehen. Kurios vor allem deshalb, weil die Ulmer mit einem größtenteils unveränderten, aber klug ergänzten Kader vor einem Jahr mit sechs Niederlagen in acht Spielen gestartet waren.

Die damals schleppend angelaufene Saison endete aber schließlich noch mit der Finalteilnahme gegen Bamberg. Deshalb gleich wieder das Endspiel als Saisonziel auszurufen, "wäre nicht realistisch", hebt Ulms Trainer Thorsten Leibenath hervor. Der 41-Jährige verweist in diesem Zusammenhang gerne auf die dreimal höheren Budgets der Großklubs Bamberg, Bayern und Berlin. Aber gleichzeitig sind sein eigenes Selbstverständnis und das des Klubs seit seinem Dienstantritt vor fünf Jahren Jahr für Jahr gewachsen. "Ich habe inzwischen 70, 80 Prozent mehr Geld für den Spieleretat zur Verfügung als damals", bekennt Leibenath. Er fragt sich deshalb, ob es vielleicht doch der Ulmer Anspruch sein muss, die Großen ernsthaft herauszufordern, die Berliner scheinen die Ulmer ohnehin sportlich längst überholt zu haben. "Bisher haben wir ja Bamberg oder München zum Beispiel nur kitzeln, aber noch nicht richtig ärgern können."

Zurückzuführen ist die Steigerungsrate beim Etat auf rund sechs Millionen Euro vor allem auf den Hallenneubau vor vier Jahren, 6000 Zuschauer passen in die 28 Millionen teure neue Arena, die zu den stimmungsvollsten deutschen Basketballhallen gehört. Ohne den Umzug von der kleinen Schulturnhalle auf dem Kuhberg nach Neu-Ulm wäre auch Günther weitergezogen. In seiner achten Saison trägt der Nationalspieler das Trikot des Klubs, er ist die Identifikationsfigur der Ulmer Kampagne. Er muss lange überlegen, bis er eine Mannschaft findet, die ähnlich stark zusammengestellt ist wie der aktuelle Kader. "An so eine Breite vor allem in der Offensive kann ich mich aber nicht erinnern", sagt Günther und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Wir haben im Angriff so viele Waffen. Ich habe noch nie so viele entspannte Abende auf dem Parkett erlebt."

"Per macht mich als Trainer überflüssig", sagt Leibenath

Die Ulmer Spielzüge sind selten auszurechnen, dabei machen sie nichts Außergewöhnliches, nichts Spektakuläres, es gibt keinen innovativen Spielzug, den die anderen Mannschaften nicht auch im Repertoire hätten. Spektakulär ist bei den Ulmern aber ihre Vielseitigkeit, ihre mannschaftliche Ausgeglichenheit. "Wir strahlen eine doppelte Gefahr aus", wie es Leibenath ausdrückt: Seine Mannschaft ist jederzeit in der Lage, innerhalb und außerhalb der Zone zu punkten. Groß gewachsene Spieler wie Raymar Morgan, der erfolgreichste Werfer des Teams, und Rückkehrer Tim Ohlbrecht wühlen und treffen unterm Korb, Chris Babb und Günther passen nach innen und punkten von außen. Hinzu kommt in Zugang Braydon Hobbs ein Spieler, der mit seinen Zuspielen Anarchie und Präzision miteinander verbindet. Zuletzt beim Heimsieg gegen Bonn präsentierte der US-Amerikaner eine Reihe von No-Look-Pässen, bei denen er seine Mitspieler nicht anschaute, die aber so selbstverständlich ankamen, als wären seine Augen an der Seite des Kopfes angebracht.

"Wir haben viel Spaß miteinander und wollen unsere schöne Serie natürlich weiter ausbauen", sagt Günther, der viel Wertschätzung erfährt. "Wenn Per auf dem Feld steht, macht er mich als Trainer überflüssig", sagt Leibenath. Auch Stoudemire, 2,08 Meter groß, wird sich nach dem Spiel sicher an den 1,83 Meter großen Günther erinnern können.

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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