Basketball:Chaos nach Plan

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Zug zum Korb: Royce O'Neale (rechts) überrascht mit Ludwigsburg sowohl in der Liga als auch im Eurocup. (Foto: imago)

Ludwigsburgs Basketballer führen überraschend die Bundesliga-Tabelle an - auch, weil ihr Trainer John Patrick ein ungewöhnliches Spielkonzept lehrt.

Von Matthias Schmid, Ludwigsburg/München

Auch nach zweieinhalb Jahren gemeinsamer Arbeit kommt es vor, dass sich Alexander Reil über seinen Trainer John Patrick wundert. Vor dieser Saison unterhielten sich die beiden über potenzielle Zugänge. Reil, Vorsitzender des Basketball-Bundesligisten MHP Riesen Ludwigsburg, hatte seinem Chefcoach von einem Spieler vorgeschwärmt, ihn anhand außergewöhnlicher Statistikwerte zu überzeugen versucht, diesen zu verpflichten. "Wenn wir den bekommen könnten, wäre doch großartig", sagte Reil. Patrick schüttelte den Kopf und entgegnete: "Der hat mit seiner alten Mannschaft nichts gewonnen."

Die Anekdote erzählt viel über Arbeitsweise und Einstellung von John Patrick. Den US-Amerikaner interessieren bei seinen Spielern weniger ihre Begabung und Statistiken, vielmehr ihr Charakter. "Es geht um mehr als nur Basketball", sagt der 47-Jährige. Sie sollen sich nicht nur dem Sport widmen, "sie sollen mit beiden Beinen im Leben stehen und Vorbilder für die jungen Spieler und Fans sein, weil sie Verantwortung für sich und andere übernehmen", sagt er. Patrick bevorzugt deshalb Profis, die eine Stiftung für krebskranke Kinder gegründet haben oder sich für benachteiligte Kinder engagieren. Dass er mit dieser ungewöhnlichen Akquise neuer Spieler nicht daneben liegt, zeigt der Blick auf die Tabelle der Bundesliga. Ludwigsburg führt das Klassement überraschend mit nur einer Niederlage in neun Spielen an, vor Frankfurt und den Meisterschaftsfavoriten aus Bamberg und München.

Patrick hat nicht nur ein Faible für besondere Spieler, sondern auch für einen besonderen Spielstil. Die Ludwigsburger schwärmen über das ganze Spielfeld aus, sie jagen ihre Gegenspieler in deren Hälfte, so dass diese oft schon außer Atmen sind, wenn sie die Mittellinie passieren. Mit kleinen, beweglichen Aufbauspielern initiiert Ludwigsburg so ständige Hektik. "Ein Viertel der Angriffe muss man gegen diese Ganzfeldpresse spielen", sagt ein ehemaliger Assistenzcoach von Patrick. Ein Wert, auf den kein anderes Team in der Bundesliga kommt. Den gegnerischen Mannschaften fällt es daher schwer, sich auf dieses gewollte Chaos einzustellen. Manche Trainer bereitet sich auf Spiele gegen Ludwigsburg vor, indem sie im Training zum Beispiel "fünf gegen sieben" spielen lassen und so versuchen, die Aggressivität Ludwigsburgs nachzuahmen. Genützt hat es bislang nicht viel, wie man an den Ergebnissen in dieser Saison ablesen kann, nicht nur in der Bundesliga. Auch im zweitklassigen Eurocup fehlt Ludwigsburg trotz der Niederlage am Mittwoch in Reggio Emilia nur noch ein Sieg, um sich für die Runde der besten 32 zu qualifizieren.

Für Patrick selbst hat sein Spielstil aber nicht viel mit Chaos oder Harakiri zu tun. "Wir machen keine außergewöhnlichen Dinge. Wir legen sehr viel Wert auf fundamentale Drills und eine außergewöhnliche Fitness der Spieler", findet er. Den Gegner so früh zu Ballverlusten zu zwingen, hat der Vater von fünf Kindern 2006 beim damaligen Zweitligisten Göttingen im deutschen Basketball eingebracht. Mit unorthodoxer Spielweise und Personalauswahl versuchte Patrick damals, fehlende finanzielle Mittel auszugleichen. Mit riesigem Erfolg. Er führte die Mannschaft zum Aufstieg, zum Sieg im europäischen Challenge-Cup und mehrmals in die Playoffs. Die ersten Acht sind auch in Ludwigsburg wieder das Ziel. "Wir können die Großen ärgern, aber wir müssen auf dem Boden bleiben", sagt Reil. Sie wissen, dass die Qualität im Kader nicht ausreicht, um bis zum Ende der Meisterrunde mit Bamberg oder München um den Titel zu konkurrieren.

Am kommenden Samstag erwartet der Klub, der vor zwei Jahren den Abstieg nur durch eine Wild Card verhinderte, den Tabellenzwölften Hagen. In Ludwigsburg hat Patrick - dank eines höheren Budgets als zuvor in Göttingen und später in Würzburg - seine radikale Lehre verfeinert, er hat nun auch größere und hochwertigere Spieler wie den NBA-erprobten Jon Brockman im Kader, mit denen er es auch mal ruhiger angehen lässt. "Wir haben uns weiterentwickelt", sagt Patrick: "So können wir unsere Stärken betonen und unsere Schwächen kaschieren." Aber abrücken von seinem markanten Stil wird er nie, seit er diesem an der DeMatha Catholic High School im US-Staat Maryland erstmals als junger Aufbauspieler begegnete. "Wir waren das Powerhouse der Liga", schwärmt Patrick. Die Saison damals endete übrigens mit der Meisterschaft.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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