Australian Open im Tennis:Eine Williams wird gewinnen

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Extrovertiert: Venus Williams feiert ihren Finaleinzug in Melbourne mit einem spontanen Tänzchen auf dem Platz. (Foto: Andy Brownbill/dpa)

Die Schwestern Venus, 36, und Serena, 35, kommen mit dem Protokollieren ihrer Rekorde kaum noch mit: In Melbourne treffen sie zum neunten Mal in einem Grand-Slam-Finale aufeinander.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Donnerstag hat Venus Williams Pirouetten gedreht, schon wieder, aber diesmal waren es mehr als sonst. Sie hat auch Knickse gemacht und die Finger wie eine Balletttänzerin weggespreizt, es fehlte nicht viel, und sie hätten wahrscheinlich "Schwanensee" dazu eingespielt. Ihr Jubel war zweifellos von der weniger introvertierten Sorte, aber fast jeder in der Rod Laver Arena freute sich mit ihr. Coco Vandeweghe, 25, die Bezwingerin von Angelique Kerber im Achtelfinale, war schon gegangen, knurrig schauend. Aber wie soll man auch sonst schauen, wenn man sein erstes mögliches Grand-Slam- Finale um nur einen Satzgewinn verpasst hat? Jedenfalls nicht so, wie es dann Venus Williams tat. Sie bekam den Mund fast nicht mehr zu vor Staunen.

Der halbe Sister Act war damit schon gesichert. Venus Williams sagte: "Es ist eine unglaubliche Sache, Serena spielen zu sehen. Ich würde es lieben, sie am Samstag auf der anderen Seite des Netzes zu sehen." Ihre Schwester tat ihr den Gefallen. Sie steuerte die andere Hälfte bei zum "Traumfinale", wie sie befand.

Nachdem Venus die amerikanische Kollegin Vandeweghe 6:7 (3), 6:2, 6:3 besiegt hatte, gewann Serena in einer furchterregend guten Darbietung 6:2, 6:1 gegen die tapfere Kroatin Mirjana Lucic-Baroni, die mit ihrer privaten Geschichte so viele berührt hatte: Jahrelang litt sie unter einem gewalttätigen Vater und musste gar in die USA fliehen, wo sie noch lebt. Das berühmteste Familienduo der Branche indes hat nun eine der außergewöhnlichsten Begegnungen. Am Samstag spielt Venus Williams gegen Serena Williams, Letztere erkannte nach ihrem Sieg lächelnd: "Eine Williams wird gewinnen." In welchem Sport gibt es eine derartige Konstellation, vor allem über nun fast 20 Jahre?

Die Geschichtsschreiber kommen bei diesen beiden Profis aus einem der schlechteren Viertel in Los Angeles gar nicht mehr mit beim Protokollieren ihrer Rekorde. Der neueste Stand: Das 28. Duell steht an, das zwölfte in einem Finale, das neunte Endspiel bei einem Grand-Slam-Turnier. Die weiteren Aussichten: Serena könnte mit ihrem siebten Australian-Open-Titel ihre 23. Grand-Slam-Trophäe insgesamt gewinnen, dann hätte sie Steffi Graf tatsächlich überholt - noch stehen beide bei 22 Titeln. "Daran denke ich gar nicht", hatte Serena betont, ehe der erste Ball gespielt wurde in Melbourne, das am Donnerstag im Ausnahmezustand war aufgrund des nationalen Feiertages Australia Day. Wahrscheinlich kann man ihr das wirklich abnehmen, denn würde sie sich um jede ihrer Bestmarken kümmern, müsste sie sich stundenlang zurückziehen, um die vielen Seiten, auf denen sie stehen, zu überblicken.

Der nächste Sister Act wird vor allem von zwei Debatten begleitet: In der einen wurde ihr Alter bearbeitet, in der anderen ihr Erfolgsdrang, der so groß wirkt, als hätten sie noch nie triumphiert in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York. Dabei hat selbst Venus schon sieben Grand Slams für sich entschieden, zuletzt allerdings 2008 in England. Danach musste sie lernen, mit einer speziellen Krankheit umzugehen, dem Sjögren-Syndrom: ihr Autoimmunsystem ist nicht mehr so, wie es einmal war. Und doch spielte sie weiter und weiter, wie die Schwester; nun ist Venus 36 und Serena 35, was sich natürlich auch auf weitere statistische Werte auswirkt: Noch nie waren zwei Halbfinalistinnen zusammengerechnet so alt wie Serena und Lucic-Baroni, die ihrerseits 34 Lebensjahre vorzuweisen hat. Alles Zahlen, sagte Serena immer wieder zu diesem Thema, längst macht sie sich lustig über diese Aspekte. "Ich habe zu Venus gesagt", erzählte Serena amüsiert, "wir könnten Einzel spielen, Doppel, dann das Legenden-Doppel, und könnten dann immer noch in dem Event überall drin sein." Viele frühere Profis spielen bei den Grand Slams nebenher ein Turnierchen zur Freude erinnerungsfreudiger Zuschauer. "Aber wir bleiben noch etwas auf der Haupttour", versichert Serena.

Aus dieser Haltung ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, was sie - längst Multi-Millionäre und gesellschaftlich in der Beyoncé-Liga, die eine ihrer Freundinnen ist - immer noch antreibt. Ob sie das Turnier gewinnen wolle, gewinnen könne? "Ich versuche immer, daran zu glauben", erklärte Venus: "Sollte ich übers Netz schauen und denken, die Person auf der anderen Seite des Netzes verdient es zu gewinnen? Diese Mentalität haben Champions nicht. Ich will ein Champion sein, besonders in diesem Jahr." Damit das auch wirklich klar ist, betonte sie: "Ich gehe mit der Mentalität auf den Platz: Ich verdiene es."

Ihren emotionalen Mehrwert ziehen beide Williams-Schwestern aber nicht nur alleine aus dem prickelnden Gefühl, besser als eine Gegnerin zu sein. In ihrer späten Karrierephase geht es nun immer häufiger darum, eine Inspiration zu sein, manchmal - wie am Donnerstag - muss man schon gut aufpassen, um nicht den Überblick zu verlieren, wer gerade wen am meisten inspiriert, so oft haben sie das betont. Für die eine, für die andere, für Kinder und Schwarze und Unterdrückte sowieso. Und zwischendurch sagte Serena, Lucic-Baroni sei auch eine Inspiration, für andere Spielerinnen, eigentlich für jeden im Leben.

Serena selbst, das hat sie angekündigt, werde 2017 nicht mehr so viele Turniere spielen, auch wenn sie über das Thema Rücktritt nicht mal hypothetisch etwas andeutet. Sie hat sich aber jüngst verlobt, mit einem schwerreichen Mann aus dem Internetgeschäft. In Melbourne gab sie preis, sie wolle jetzt "nicht zu glücklich" sein, um sich auf dieses erste Grand-Slam-Turnier vollends konzentrieren zu können. Was beide in der Retrospektive für den Tennissport bedeuten? Die Antwort der älteren Schwester war bezeichnend: "Ich weiß es nicht. Das beschäftigt mich gerade nicht."

Die Williams-Schwestern wollen weiterhin unbedingt gewinnen. Auch dann, wenn die Gegnerin denselben Stammbaum vorzuweisen hat.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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