ATP-Turnier in München:Einer wie Marat Safin

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Karen Chatschanow. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Junger Wilder? Eher ein junger Vernünftiger: Tennisprofi Karen Chatschanow, 22, weckt Erinnerungen an den früheren russischen Grand-Slam-Sieger.

Von Gerald Kleffmann, München

Im vergangenen November saß Karen Chatschanow, 22, vor Reportern in Paris-Bercy, gerade hatte er seine "Durchbruchssaison", wie er 2018 nannte, veredelt. Der 7:5, 6:4-Finalerfolg beim Hallenturnier der Masters-Serie beendete die eindrucksvolle Serie von Novak Djokovic. Der serbische Weltranglisten-Erste hatte 22 Matches hintereinander gewonnen. Wie er sich fühle, wurde Chatschanow gefragt. "Ja, sehr gut", sagte er. "Und wie geht es Ihnen?" Da war er mal wieder, der Schelm. Auch im weiteren Verlauf des Gesprächs, in dem es um ihn, den jungen Champion gehen sollte, machte er Späßchen und frotzelte Journalisten. Ja, es gibt unangenehmere Typen im Tennis als ihn.

Sechs Monate später, es weht ein kaltes Lüftchen auf der Anlage des MTTC Iphitos in München. Es gibt angenehmere Bedingungen, um Tennis zu spielen. Aber Chatschanow ist guter Laune. Kurzfristig hatte er, die Nummer 13 der Welt, um eine Wildcard für die BMW Open gebeten. 2019 lief nicht so gut bislang. Er holt sich einen Latte Macchiato, knufft seine Frau, schaut sich neugierig um, sagt: "Klar können wir reden." Allerdings habe er nicht unendlich Zeit. Er wolle noch Work-out machen. Auf dem Platz war er schon. Chatschanow hat seine täglich zu verrichtende Arbeit mal als "Homework" bezeichnet, die zu erledigen sein Job sei. Young gun? Junger Wilder? Viele Zuspitzungen begleiteten stets einen wie ihn, der zur von der ATP Tour als "Next Gen", nächste Generation, vermarkteten Gruppe zählt. Die Wahrheit ist: Die jungen Vernünftigen träfe es besser. Vielleicht mal von Nick Kyrgios, dem undurchschaubaren Australier abgesehen.

Chatschanow ist ein Prototyp der neuen Generation, pflichtbesessen, zuverlässig, motiviert. "All die Jungs wie Zverev, Tsitsipas, Medwedew, Coric, Chatschanow haben knallharte Ziele", sagt Patrik Kühnen, Münchens Turnierdirektor und einst Davis-Cup-Sieger. "Tennis muss dein Leben sein." Ungewöhnlich bei Chatschanow ist, dass er angesichts seines jungen Alters sich nicht wie etwa Rafael Nadal sagte: erst Karriere, Familie gründe ich später. Mit 19 heiratete er, nun wird er Vater. Seine Frau kennt er seit der Kindheit, sie sei ein Teil seines Erfolges. Er schwärmt sofort von ihr. Ob es nicht früh sei, eine Familie zu gründen? Jeder Profi müsse selbst wissen, wann er sich dafür bereit fühle, sagt Chatschanow. "Ich bin aufgeregt und glücklich. Für mich gab es immer ein Tennisleben - und ein Privatleben." Je länger er spricht, desto schiefer wirkt wirklich das Bild des jungen Wilden.

Das Auffallende an der neuen Generation ist, dass sie nicht aus einem speziellen Land oder von nur einem Kontinent stammt, sondern wie per Proporz verteilt aus der ganzen Welt. Chatschanow - armenische Eltern, in Moskau geboren - repräsentiert die russische Note (mit Daniil Medwedew und Andrej Rubljow), wobei er längst Internationales ausstrahlt. Er trainierte einige Jahre in Kroatien, mit Vedran Martic, Ex-Coach von Goran Ivanisevic, dem Wimbledonsieger. Später in Barcelona mit dem spanischen Ex-Profi Galo Blanco. Inzwischen ist Martic zurück. Da Chatschanow ein Fan des früheren Grand-Slam-Siegers Marat Safin ist, Russe wie er, wird er gern mit seinem Vorvorgänger verglichen. Er mag das. Safin gewann 2000 die US Open und 2005 die Australian Open, besonders beliebt war der Lebemann aber vor allem an Chatschanows Sehnsuchtsort: in Paris. Die Franzosen haben diesen D'Artagnan-Typ Safin fast wie einen der ihren angesehen, auch mit Chatschanow sind sie im November, als er in Paris-Bercy triumphierte, wohlwollend umgegangen. "Russen und Franzosen verbindet wohl was", sagt er und zwinkert. Er weiß schon um seine Wirkung.

Wenngleich er zuletzt nicht unbedingt der Siegertyp mehr war, von 16 Matches 2019 verlor er neun. "Solche Phasen gehören bei den Jungen dazu", sagt Kühnen. Möglicherweise hat Chatschanows Bilanz mit einem Schlägerwechsel zu tun, er will das nicht vertiefen, bestätigt aber, dass er nach seinem starken Jahr ein anderes Fabrikat ausprobiert hatte, was nach einem lukrativeren Vertrag klingt. Nun hält er wieder seine alte Racquet-Marke in der Hand. In München, auch deshalb meldete er fürs Turnier der 250er Kategorie, hofft er auf einige Matches. "Es fehlte mir einfach die Konstanz", sagt Chatschanow, dessen Spiel "schnell, hart, modern" ist, wie Kühnen es beschreibt. Aber es ist auch: risikoreich. Er säbelt manchmal mit seiner extremen Topspinvorhand fürchterlich aussehende Fehler zusammen. "Die großen Spieler haben einfach diese Konstanz, das zeichnet sie aus", weiß er. Man müsse eben "aufstehen und es wieder versuchen".

Am Boden ist er aber natürlich keineswegs derzeit, wohl eher in einer kleinen Senke. "Er ist ein potenzieller Top-Ten-Kandidat", ist sich Kühnen sicher. "Er hat die absolut richtige Einstellung." Chatschanow selbst versichert: "An meiner Arbeit wird sich nichts ändern - auch wenn ich Vater werde."

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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