ATP-Finale:Mit Unterschnitt gegen den Unerschrockenen

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Und er ist noch so jung! Alexander Zverev ist der Rookie bei den ATP Finals. (Foto: Getty Images)

Roger Federer stellt gegen Alexander Zverev extra seinen Spielstil um - für den jungen Deutschen ist das ein Kompliment.

Von Gerald Kleffmann, London

Bevor Jack Sock seinen kleinen speziellen Sieg schaffte, hatte er ein unangenehmes Erlebnis. Er hörte "den schlimmsten Lärm, den ich je gehört habe", sagte er. Es war vier Uhr morgens im Spielerhotel gewesen, dem Marriott County Hall am Themseufer, als die Alarmsirenen schrillten. Feueralarm. Sock zog sich eine Jacke über, seine Freundin auch, auf den Fluren sahen sie dann andere, Dominic Thiem, auch Rafael Nadal, der noch eine Nacht in London verbracht hatte, ehe er ja wegen Knieschmerzen vorzeitig abreisen musste. Nach 15 Minuten war die Aufregung vorbei. Am Dienstagnachmittag dann gewann Sock als erster Amerikaner seit Andy Roddick 2007 wieder ein Match bei den ATP Finals. Sein 5:7, 6:2, 7:6 (4)-Sieg gegen den Kroaten Marin Cilic eröffnet dem 25-Jährigen aus Nebraska die Chance, gar das Halbfinale zu erreichen. Er muss nur sein letztes Gruppenmatch an diesem Donnerstag erfolgreich bestreiten.

Andererseits: Da ist Alexander Zverev sein Gegner.

Der 20-Jährige aus Hamburg, der inzwischen in Monte-Carlo lebt, ist auch ein Debütant bei der Abschlussveranstaltung der ATP Tour. Nach einem Auftakterfolg gegen Cilic kassierte der offensichtliche Himmelsstürmer der Nachwuchsfraktion eine Niederlage, die dennoch eine schmückende war. Roger Federer hatte ihn nach zähem Ringen mit 7:6 (6), 5:7, 6:1 bezwungen, der Grandseigneur mit den 19-Grand-Slam-Titeln. Der andere, der Verlierer, die Zukunft der Branche, der längst in der Gegenwart angekommen ist, rechnete trotz der verlorenen Partie damit, noch länger im Wettbewerb zu bleiben. "Hoffentlich können wir hier noch mal gegeneinander spielen", sagte Zverev. Er durfte sich zu Recht "positiv" fühlen, wie er es nannte.

"Die Leute fangen jetzt an, gegen mich ihre Schläge zu mischen."

Von den je vier Spielern pro Gruppe kommen jeweils die ersten beiden ins Halbfinale. Der Schweizer, eigentlich der Spieler der Saison, auch wenn er Nadal als einzigen in der Weltrangliste nicht überholen konnte, wird um seinen siebten Titel kämpfen. Sollte Zverev bei dieser Art WM im kleinen Kreis den Sprung ins Finale schaffen, wäre er sicher ein würdiger Protagonist. Denn schon die Partie gegen Federer hatte sich wie ein Endspiel angefühlt. "Es war ein großartiges Match", reflektierte Zverev, "wir haben beide ziemlich gut gespielt. Ich gehe mit viel Selbstvertrauen in das Match gegen Sock."

Von den 17 000 Zuschauern in der mächtigen O2-Arena war die Mehrheit natürlich für Federer. Der Ort, an dem der inzwischen 36-Jährige nicht die herzigsten Sympathien genießt, muss noch gefunden werden. Auf diesem Planeten existiert er nicht. Aber die Besucher wussten es zu schätzen, dass da ein Talent heranreift, das knallhart von der Grundlinie auf den Ball peitscht. Das sich unerschrocken in die Arbeit beißt. "Ich glaube, ich war mit 20 noch nicht bei den ATP Finals dabei", sagte Federer anerkennend. "Ich mag, was ich in Sascha sehe. Ich sehe jemanden, der Richtung Zukunft arbeitet." Er erinnerte an die beiden bedeutenden Siege des Hamburgers in Rom und Montreal. Schon jetzt sei er gespannt, wie Zverev wohl mit 23, 24 agieren werde. Aber nicht nur mit Worten erhielt der Hamburger Respekt und Anerkennung.

Federer, in Montreal im bislang letzten Duell der beiden in zwei Sätzen von Zverev besiegt, hatte sich für das Wiedersehen in London eine taktische Finesse überlegt. Er slicte die Rückhand öfter, so oft wie sonst selten. Später sagte er gar, es sei immer noch nicht oft genug gewesen - um Zverev die Chance zu nehmen, auf die Bälle "drauf zu gehen", also anzugreifen. "Die Leute haben gemerkt, dass ich es mag, wenn sie meine Rückhand mit viel Spin anspielen", sagte Zverev dazu, "vielleicht fangen sie daher nun an, ihre Schläge zu mischen, mehr mit Unterschnitt zu spielen." Federer hatte sich an Zverevs Fähigkeiten ausgerichtet, das durfte der junge Weltranglisten-Dritte als Kompliment sehen. Dass beide in dem Match ungewohnt viele Fehler machten, das bedingten diese taktischen Manöver aber auch.

Nach Niederlagen guckt Zverev sonst genervt - diesmal nicht

Den Unterschied, der über den Sieg entschied, sah Zverev darin, dass er in ein paar Momenten etwas die Konzentration vermissen ließ. So waren die Nuancen tatsächlich auffällig. Zverev ließ manche gute Chance aus. Gleich im ersten Aufschlagspiel Federers vergab er bei 0:40 drei Breakbälle. Im Tie-Break vergab er eine 4:0-Führung. Dass er im zweiten Satz dran blieb, sprach wiederum für die Zähigkeit Zverevs. Da ist wieder einer, der sich nicht abschütteln lässt. Im dritten Satz war indes mit dem zweiten Break Federers der Widerstand gebrochen. Nach 2:12 Stunden hatte sich der Favorit behauptet.

Wie sehr Roger Federer einer ist, der den zugespitzten Wettkampf schätzt, offenbarte er danach. Er fand es gut, wie er "mental stark" geblieben sei, wie er sich aus diesem Match mit vielen engen Situationen "gegraben" habe. Er mag Tests, und Alexander Zverev war ein echter Test. "Es war ein hartes Match, von Anfang bis Ende", resümierte Federer. Dass er zu oft in die Verteidigungsposition geriet und dabei sein eigenes Offensivspiel vernachlässigte, wie er anmerkte, war auch ein Verdienst der Angriffslust Zverevs.

Plakativ betrachtet ist das Duell der beiden gerne eines zwischen Lehrmeister und Schüler, zwischen Legende und Nachwuchsstern. In der Realität sind beide einfach extrem gute Tennisspieler aus verschiedenen Epochen, die sich nun in der Gegenwart begegnen, mehr oder weniger auf Augenhöhe, wenn man das einzelne Match nimmt. "Die Leute, die mich nach Niederlagen gesehen haben, wissen mich einzuschätzen", sagte Zverev. Am Dienstag hatte er verloren. Sonst guckt er nach solchen Erlebnissen schon mal genervt wie jemand, der keinen Parkplatz findet. Diesmal strahlte er, während er seine Haare zur Seite schob.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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