Argentiniens Stürmer:Raubtiere auf der Bank

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Argentinien schont seine Stürmer, Ersatz gibt es genug.

Peter Burghardt

Die argentinische Gala unter dem Dach der Schalker Arena war schon eine Zeit lang Sportgeschichte, da drängten sich die Reporter noch um zwei kleingewachsene Männer. Sie verschwinden meistens hinter ihren Bewunderern, denn Lionel Messi ist 1,70 Meter groß und Carlos Tevez 1,68 Meter, auch sehen sie keinen Tag älter aus, als sie sind.

Lionel Messi und Carlos Tevez beim Training. (Foto: Foto: AP)

Tevez, 22, hat schiefe Zähne und trägt am Hals Spuren einer Verbrennung aus der Kindheit, die Narbe gehört zu seiner Persönlichkeit. Messi, der in wenigen Tagen 20 wird, hat noch eine unreine Haut und einen scheuen Blick, beide sprechen wenig und leise, sie flüstern fast. Doch solche Äußerlichkeiten ändern nicht das geringste an ihrer Attraktivität.

Wie Raubtiere hatten die Nummer 11, Tevez, und die Nummer 19, Messi, Mitte der zweiten Halbzeit das Feld betreten, endlich losgelassen von Trainer Jose Pekerman. Tevez schoss 25 Minuten nach seiner Einwechslung das 5:0, Messi 13 Minuten nach der seinen das 6:0 gegen Serbien/Montenegro - für beide war es der erste Treffer bei einer WM, und sie trugen den Ball mit einer Energie ins Netz, die sich fast zwei Spiele lang auf der Ersatzbank aufgestaut hatte.

"Die Wut vom Leib geschafft" habe er sich, berichtete Messi, "ich hab' lange darauf gewartet, ich werde das Tor nie vergessen." - "Wenn man rein kommt, muss man wissen, was man macht", sprach Tevez, "für mich ist das ein glücklicher Tag".

Publikum und Berichterstatter fragten sich unterdessen: Was haben solche Juwele in der Reserve verloren? Wieso stürmen zwei der besten Spieler der Welt nicht ständig zusammen?

Weil ihr Platz erfolgreich durch ein anderes Paar besetzt war, vorläufig. Den weißblauen Sturm bildeten bisher Hernan Crespo und Javier Saviola, sie dürfen sich bisher als Gewinner unter den Siegern betrachten. Pekerman setzte zunächst auf sie, und das Experiment gelang.

Der ebenfalls jungenhafte Saviola, 24 Jahre jung und 1,69 Meter klein, ergänzte sich ausgezeichnet mit dem schon etwas reiferen Crespo, fast 31 und 1,84 Meter groß, dabei war er keineswegs gesetzt gewesen. Beim FC Barcelona hatte der Dribbler keine Verwendung mehr gefunden und zum FC Sevilla ausweichen müssen - erst nach einem rauschenden Saisonfinale samt Erbeutung des Uefa-Cups rutschte Saviola in Pekermans Aufgebot.

"Hernan ist einer, der die Situationen sehr gut liest und weiß, was dem anderen nützt", lobt er seinen Partner Crespo, der beim FC Chelsea zuletzt keineswegs so zielsicher gewesen war wie nun bei dieser WM. Das Duo ergänzt sich also ausgezeichnet, und fürs erste verdrängen es nur die gelben Karten aus der ersten Elf.

Allenfalls wegen der Verwarnungen lässt Pekerman seinen gegenwärtigen Lieblingsangriff gegen die Niederlande zuschauen, er braucht das Duett Crespo/Saviola im Achtelfinale wieder.

Ersatzweise soll diesmal Tevez schon ab der Nationalhymne dabei sein und an seiner Seite Julio Cruz, 31, der für Inter Mailand in 70 Einsätzen 27 Mal getroffen hat und im Auftrag des Vaterlandes in 15 Spielen dreimal. Alternativ gäbe es auch noch Rodrigo Palacio von Boca Juniors, er durfte sich gegen die Elfenbeinküste eine Zeit lang versuchen.

Eine solche Offensive hat derzeit wohl nicht mal Brasilien zu bieten, verfügbar wäre außerdem der hochbegabte Sergio Aguero gewesen, doch den ließ Pekerman zu Hause. Solches Angebot ist gut für Argentinien - und muss nicht schlecht sein für die beiden umschwärmtesten Talente vom Rio de la Plata.

Vorerst kann Pekerman es sich leisten, Lionel Messi und Carlos Tevez nur sporadisch auf den Rasen zu schicken, ihre Knochen zu schützen und ihr Ego auch. "Lasst uns abwarten", sagt er, "wir werden sie noch brauchen."

Um die Wunderkinder wurde ja bereits vor Anpfiff gewaltig Wind gemacht, Diego Maradona erkannte sich in beiden wieder, in Messi ganz besonders. Er wurde in der Champions League zum Helden jenes FC Barcelona, der Saviola nicht mehr gebrauchen konnte.

Erst wegen einer Verletzung kam er außer Tritt, und Pekerman baut ihn jetzt so behutsam auf wie es Barcas Frank Rijkaard getan hatte, auch wenn sein Zögling grummelt, weil er nicht nur Gameboy spielen will, sondern WM.

Tevez stieg beim Olympiasieg in Athen sowie dem Confed-Cup zum Idol auf, bei Corinthians Sao Paulo eroberte er die brasilianische Liga. "Das kann meine WM sein", verkündete Tevez. Oder die von Messi, von Saviola, von Crespo oder von allen zusammen.

© SZ vom 21.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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