Argentinien:Bloß keine Gespenster wecken

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Argentinien liegt mal wieder auf der Couch: Der bisherige Turnierverlauf erinnert die Albiceleste an ihre missratene WM 2002.

Peter Burghardt

Im Umgang mit seelischen Belastungen hat Argentinien Erfahrung, Buenos Aires zählt zu den führenden Therapiezentren der Welt. Jenseits von Manhattan soll es nirgendwo so viele Psychiater geben wie am Rio de la Plata, wo hunderttausende Immigranten aus Europa und deren Nachkommen im Tango der Gefühle ihrer inneren Zerrissenheit frönen.

Ein Viertel im schönen Stadtteil Palermo wird nach dem Wiener Freud benannt, es gibt dort auch ein Cafe Sigi. Prägende Erfahrungen aus der Kindheit und anderen Phasen der Vergangenheit spielen bei der klassischen Lehre eine entscheidende Rolle.

Also beschäftigen sich die Begleiter der Nationalmannschaft vor dem zweiten Weltmeisterschaftsspiel mit einem argentinischen Trauma aus der jüngeren Fußballgeschichte, wieder einmal ist es ein Fall für die Couch.

Wie damals...

Vor vier Jahren in Japan und Südkorea war die Albiceleste in der Vorrunde ausgeschieden, und noch könnte sich das wiederholen. Theoretisch. Auch damals gewann das Team seine erste Begegnung, ebenfalls gegen einen afrikanischen Rivalen (Nigeria), diesmal war es die Elfenbeinküste, die 2:1 bezwungen wurde.

Auch damals hatten es die Südamerikaner anschließend mit zwei europäischen Gegnern zu tun, Schweden und England, diesmal sind es erst Serbien/Montenegro am Freitag in Gelsenkirchen und am Mittwoch dann die Niederlande.

Der Zeitung La Nación fiel obendrein auf, dass auch damals Partie Nummer zwei in einem geschlossenen Stadion gespielt wurde, in Sapporo - auf Schalke soll ebenfalls das Dach zugeschoben werden, weil das Sonnenlicht nach Ansicht der Fifa die Sichtverhältnisse belasten könnte. Aber man solle bloß keine Gespenster wecken, warnt das Blatt - und entdeckte sogar eine personelle Parallele.

Verändere nie ein Siegerteam? Trainer Marcelo Bielsa tauschte 2002 nach dem Erfolg zum Auftakt Claudio Lopez gegen Kily González aus, inzwischen ist von den dreien keiner mehr dabei. Trainer José Pekerman will nun Luis González für Esteban Cambiasso ins defensive Mittelfeld schicken.

Der Mailänder Cambiasso enttäuschte zuletzt, Gonzalez vom FCPorto soll es besser machen an der Seite von Javier Mascherano, dem anderen Scharnier zwischen Abwehr und Angriff. Von seinem Einsatz verspricht sich Pekerman mehr Ballbesitz, mehr Bewegung - und mehr Freiheiten für seinen Gestalter Juan Roman Riquelme, gegen die Elfenbeinküste hatte sich der Mann mit der Nummer 10 nach gutem Beginn und zwei Beihilfen zu den Toren von Hernán Crespo und Javier Saviola zunehmend unwohl gefühlt.

Andere Reservisten müssen sich gedulden, darunter die Stürmer Carlos Tévez und Lionel Messi, das Thema der Woche.

In Hamburg hatte Pekerman das umschwärmteste Talent der Gegenwart zuschauen lassen, worauf Messi und die Berichterstatter nervös wurden, der wochenlang malade Muskel ist doch wieder in Ordnung. "Komisch drauf" sei Messi und spiele ständig mit seiner Playstation, berichtete Roberto Ayala, Zimmergenosse und väterlicher Berater.

Messi gegen die Serben dabei

Am Mittwoch kam die Kunde, das Wunderkind klage nach einem Schlag im Training über Schmerzen am linken Knöchel, worauf im Quartier von Herzogenaurach große Aufregung herrschte. So schlimm war es aber nicht, gegen die Serben wird Messi voraussichtlich eingewechselt.

Das hätte mit der asiatischen Enttäuschung dann bestimmt nichts zu tun, denn seinerzeit war Messi 14 und noch nicht dabei.

Ansonsten werden lieb gewordene Rituale beachtet. Als Erster betritt den Platz immer Kapitän Juan Pablo Sorin und als Letzter Stratege Riquelme. Gabriel Heintze, Maxi Rodriguez, Ayala, Crespo und Mascherano bekreuzigen sich und berühren den Rasen mit der Hand, ehe sie einen Fuß darauf setzen, den rechten zuerst.

Bei der Hymne legen Ayala und Sorin die Hand aufs Herz respektive das Wappen des argentinischen Fußballverbandes Afa, Riquelme betrachtet die argentinische Fahne, über die Hintergründe ist nachzulesen bei Freud.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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