Andreas Reinke:Oliver Recks Urenkel

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Bremens Torwart Andreas Reinke kämpft mit dem Spott der Fans. Der talentierte Muskelmann Tim Wiese sitzt der angeschlagenen Nummer eins schon im Nacken.

Jörg Marwedel

Der alte, grüne VW-Bus mit dem Schweriner Kennzeichen ist noch immer die heimliche Attraktion des Fuhrparks am Weserstadion. Trotzig steht der Bully mit seinen bald 200.000 Kilometern auf dem Tacho zwischen all den glitzernden Wohlstandsvehikeln der Werder-Profis und erzählt von seinem Besitzer, dem Torwart Andreas Reinke, 36.

Andreas Reinke sitzt bei seinem Eigentor zum 2:1 gegen Gladbach Ende September am Boden. (Foto: Foto: ddp)

Man erinnert sich daran, wie Reinke damit im Sommer 2003 die 2700 Kilometer vom spanischen Murcia nach Bremen gefahren ist, den gesamten Hausrat im Gepäck. Wie er nach dem Aufstieg mit Real Murcia in die Primera Division und seiner Wahl zum besten Torhüter des spanischen Fußballs noch einmal die Herausforderung Bundesliga suchte.

Der Bus erzählt auch von den Eigenschaften seines Fahrers, von dessen Beständigkeit und dem eigenen Kopf. Andreas Reinke, der gebürtige Mecklenburger, hält nicht viel von Statussymbolen. Er hat stets auf den Wert seiner Arbeit gesetzt und auf seine direkte, ehrliche Art.

Höhnischer Beifall

"Ich sage immer, was ich denke, und gehe alles offensiv an", war bis vor kurzem einer seiner Lieblingssätze. Jetzt hat sich Andreas Reinke von diesem Prinzip verabschiedet. Still schleicht er in diesen Tagen vorbei an den Journalisten, die ihn mit den immer gleichen Fragen nerven.

Fragen nach den Fehlern, die zuletzt das einzig Beständige an seinen Leistungen waren und ihn, den Routinier, kaum noch von seinen jüngeren und manchmal orientierungslosen Vorderleuten in der Abwehr unterschieden.

Andreas Reinke ist zum Problemfall geworden, zum Unsicherheitsfaktor. Greift er am heutigen Mittwochabend beim Spiel gegen Panathinaikos Athen wieder daneben, könnte das Werder Bremen den Sprung ins Achtelfinale der Champions League kosten.

Die Fans im Weserstadion werden jedenfalls in banger Erwartung auf ihn schauen. Und ein paar Zyniker werden vielleicht wieder höhnisch Beifall klatschen, wenn der Keeper einen leichten Ball hält.

Galerie der unglücklichen Werder-Torhüter

So wie beim 2:0 gegen den MSV Duisburg am Samstag in der Bundesliga, als nur das Glück verhinderte, dass einer von mehreren Patzern des zuweilen im Strafraum herumirrenden Keepers nicht mit einem Gegentor bestraft wurde.

Andreas Reinke hat solche Reaktionen nicht verdient. Als er nach Bremen kam, hat er die Kritiker und sogar die eigenen Kollegen verblüfft. Mit seiner Bärenruhe und der Präsenz von 1,92 Meter und 96 Kilo hat der Hüne, den sie intern "Dicker" nennen, dem Team Sicherheit gegeben.

Er hat, wie Werders Torwarttrainer Dieter Burdenski lobte, "vom ganzen Bewegungsablauf die Nummer eins ausgestrahlt" und einen erheblichen Beitrag zum Gewinn der Meisterschaft 2004 geleistet. Auch vergangene Saison unterliefen Reinke nur wenige Aussetzer. "Doch jetzt", sagt Geschäftsführer Klaus Allofs, "ist Andy in einer anderen Phase."

Jetzt ist Reinke zu einem Mann geworden, der sich nahtlos einzureihen scheint in jene Galerie unglücklicher Werder-Torhüter, als deren Urvater Oliver Reck gilt.

Sieg "trotz dieses Torwarts"

Reck hatte in den Achtzigern und Neunzigern als "Pannen-Olli" Berühmtheit erlangt, wurde aber dennoch Meister mit Werder. So wie Andreas Reinke 1998 mit dem 1. FC Kaiserslautern. "Trotz dieses Torwarts", wie auch bei ihm Spötter damals bemerkten.

Reinkes aktuelle Pannen-Serie begann Anfang November beim 4:3 gegen Udinese Calcio. Da verhalf er dem Spiel nach einem souveränen 3:0-Vorsprung Werders mit zwei Missgriffen zu einem dramatischen Finale. Die Phase setzte sich fort im DFB-Pokal gegen den VfL Wolfsburg und dann vor zwei Wochen bei der 0:2-Niederlage in Barcelona, als der Ball nach einem von Ronaldinho getretenen Freistoß auf Hüfthöhe in nächster Nähe des erstarrten Torhüters vorbei ins Netz sprang.

Dass Reinke eine unebene Rasenkante für das Unglück verantwortlich machte, die dem Ball eine Richtungsänderung gegeben habe, nahmen ihm nicht alle Mitspieler ab. Nationalspieler Torsten Frings jedenfalls monierte ärgerlich einen "klaren Torwartfehler". Womit geklärt ist, dass Reinke nicht auf übermäßige Hilfe bauen kann. "Er muss selbst sehen, dass er sich reinkniet und dagegen auflehnt", sagt Allofs.

Tim Wiese sitzt im Nacken

Dass der alternde Torwart noch die Zeit bekommt, zu alter Stärke zurückzufinden, hat freilich weniger mit Bremer Generosität zu tun als mit der Verletzung seines designierten Nachfolgers Tim Wiese, 23. Wieses Verpflichtung im Sommer galt als Muster weitsichtiger Planung, dann riss dem talentierten Muskelmann zu Beginn der Saison zum zweiten Mal das Kreuzband.

Doch Tim Wiese sitzt der angeschlagenen Nummer eins schon im Nacken. "Mein Knie ist brutal stabil", sagt er über seinen positiven Heilungsverlauf. In dieser Woche stand der frühere Kaiserslauterer erstmals bei einem Trainingsspiel wieder im Tor, zur Rückrunde möchte er Reinke verdrängen. Das Überholmanöver könnte glücken. Nicht nur, weil das Auto des forschen Herausforderers schneller ist als Reinkes guter, alter Bully.

© SZ vom 7.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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