Andrea Petkovic im Fed Cup:Crashkurs in Sportpsychologie

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Andrea Petkovic: Viel Tennis, viele Emotionen (Foto: dpa)

Andrea Petkovic erlebt im Fed Cup gegen Australien so viele Höhen und Tiefen wie noch nie - und ist danach ganz durcheinander. Diese Erfahrung könnte den Wendepunkt in ihrer Karriere markieren.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Ihr Schläger lag noch an der Stelle in der Nähe der Grundlinie, wo ihn Andrea Petkovic zuvor fast unters Hallendach geschleudert hätte. Es war ein surreales Bild. Ein leerer Platz, ein Racket, es sah so aus, als würde gerade jemand auf der Suche nach einem Spielpartner sein und habe daher vorrübergehend seinen Schläger zurückgelassen.

Petkovic' Wurf war aber ein Ausbruch größtmöglicher Glückseligkeit, kein Wutanfall. Und natürlich suchte sie auch keinen Spielpartner. Gerade hatte sie mit ihrem Sieg gegen die Australierin Jarmila Gajdosova die deutsche Fed-Cup-Mannschaft ins Halbfinale gegen Russland geführt, da sprach sie noch am Spielfeldrand in das Hallenmikrofon, voll mit Adrenalin. Die Anspannung fiel erst langsam von ihr ab, sie redete ohne Punkt und Komma. Und auch ohne Hemmungen. "Champagner bitte", rief sie, Petkovic lächelte, "gebt mir Alkohol halt." Bier würde es auch tun, sagte sie. Als sie begriff, dass ihr auch viele Heranwachsende an der Hand ihrer Eltern zuhörten, fügte sie schnell an: "Kinder, trinkt bitte keinen Alkohol."

Die 27-Jährige wirkte in diesem Moment entrückt, überwältigt von den eigenen Emotionen, die zwischen Freude und Verwirrung changierten. Es gab aber kaum jemanden in der Stuttgarter Arena, der ihr dieses Gefühlschaos und die merkwürdigen Sätze nicht nachgesehen hätte. Es war ein denkwürdiges Wochenende für sie gewesen, sie hatte beim 4:1-Sieg gegen Australien beide Einzel gewonnen, den dritten Punkt hatte Angelique Kerber mit einem wundersamen Auftritt gegen die ehemalige US-Open-Siegerin Samantha Stosur gesichert.

Vielleicht werden die beiden Tage von Stuttgart in Petkovics Karriere als Wendepunkt eingehen, als ein Erlebnis, das ihr Spiel noch mal auf ein höhere Ebene gehoben hat. Die Siege werden nicht ihren Stil verändern, aber mit Sicherheit ihren Kopf. Sie hat sich und ihren Kritikern gezeigt, dass sie auch Spiele gewinnen kann, wenn sie hadert und zweifelt, ohne Selbstvertrauen spielt und müde vom Vortag ist.

"Dieses Wochenende war für Andrea und die anderen wertvoller als das verlorene Finale gegen Tschechien", sagte Teamchefin Barbara Rittner hinterher. Es habe nämlich offenbart, dass sie alle - inklusive sie selbst - dazugelernt hätten. Kleinigkeiten hätten sie geändert, die aber große Wirkung entfalteten. Alle hätten in den entscheidenden Momenten ruhiger gespielt, selbstsicherer. "Ich bin so stolz auf die Mädels", sagte Rittner.

Petkovic hatte ja schon mehrere Krisen erlebt, seit sie sich dazu entschieden hat, als Berufsspielerin durch die Welt zu tingeln. Aber nie zuvor hat sie in so kurzer Zeit so viele Höhen und Tiefen eines Profisportlers erfahren wie in ihren Spielen gegen Stosur und Gajdosova, es war ein Crashkurs in Sportpsychologie. Gegen Australiens Nummer eins hatte sie am Samstag gar einen Matchball im dritten Satz bei 4:5 mit einem Schlag abgewehrt, der so nirgends im Lehrbuch zu finden ist. Petkovic taufte den improvisierten Flugball "Super-Mario-Volley".

Am Ende gewann sie den epischen Kampf 12:10. Nach 193 Minuten. "Zwei, drei Prozent an zusätzliche Energie", sagt sie, würde sie von außen bekommen. Von ihren Kolleginnen, von Rittner, von den Zuschauern. "Die Stimmung in Stuttgart ist immer unglaublich", betont Petkovic, diesmal sei sie aber noch kochender gewesen, noch intensiver. "Ich habe 50 Prozent der Zeit Gänsehaut gehabt."

Petkovic liebt Herausforderungen, doch dieses Wochenende schien selbst ihr zu groß zu sein, sie hatte davor noch kein Einzel gewinnen können auf der Tour. Und dann musste sie auf den Platz, nachdem Kerber überraschend das Nachsehen gegen Gajdosova hatte. Rittner hatte trotzdem ihr vertraut, die Bundestrainerin hätte an ihrer Stelle auch Julia Görges spielen lassen können, die meisten hätten nach deren Achtelfinalteilnahme in Melbourne diese Wahl verstanden.

Ihre Entscheidung hätte schiefgehen können, das weiß Rittner, einen Ballwechsel war Petkovic gegen Stosur von der Niederlage entfernt. Die Teamchefin ist sich nun sicher, dass Petkovic und Kerber nach diesen Erlebnissen im Fed Cup reüssieren werden auf der Tour in den kommenden Wochen. Lange ausruhen können sie sich aber nicht. Der Turnierkalender nimmt keine Rücksichten auf Länderkämpfe. Schon in dieser Woche spielt Petkovic wie auch Kerber in Antwerpen. "Vier Stunden Training und Bergsteigen", sagte sie, stünde am Montag auf dem Programm. Es war ein Witz. Und Champagner? Wurde auch nicht gereicht. Rittner sagte: "Wir sind alle fix und fertig." Den Schläger hob Andrea Petkovic dann aber doch noch auf.

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