Amateurfußball:Neue Rollenverteilung

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Verpasster Saisonstart wegen 19 Zeckenbissen, ein Schiedsrichter ohne Pfeife und ein 60-Jähriger, der mithält: Eine Rückschau auf acht kuriose Geschichten des Jahres.

Von Johannes Kirchmeier und Christoph Leischwitz

19 Zeckenbisse!? So entsetzt wie hier dürfte Korbinian Linner vom TSV 1860 Rosenheim bei seiner Entdeckung geschaut haben. (Foto: Frank Scheuring/imago)

Die Zecken vom Königssee

Eigentlich verpasst der Angreifer Korbinian Linner nur ganz wenige Spiele bei seinem Verein TSV 1860 Rosenheim in der Regionalliga Bayern. Von großen Verletzungen ist der 24-Jährige lange verschont geblieben - bis zur aktuellen Saison. Denn Linner verpasste schon den Saisonstart, weil sich insgesamt 19 (!) Zecken in seine Haut bissen, was nebenbei bemerkt auch einen Rekord für seinen Hausarzt bedeutete: "Der hatte bisher nur zwei auf einmal erlebt", sagte Linner im Juli zur SZ. Der Stürmer musste die Risiken der Borreliose mit Antibiotika bekämpfen und mit dem Fußball aussetzen. Geholt hat er sich die vielen Untermieter bei einem Ausflug an den Königssee. Während er nach einer Wanderung gemeinsam mit einem Kumpel schnell in den See hüpfte, schlüpften die Zecken in Linners Kleidung. Er selbst bemerkte sie erst daheim beim Duschen. Nach der zeckenbedingten Pause zum Saisonstart etablierte sich Linner zwar mit dem neuen Spitznamen "Zecke" gleich wieder als Rosenheimer Vielspieler, doch nach zwölf Partien folgte im November die nächste Auszeit: Linner riss sich das Außenband im Knie und hatte bis zur Winterpause keinen Einsatz mehr. In dieser Saison ist bei ihm irgendwie der Wurm drin. Oder besser die Zecke?

Vier verliert

Es war erst das zweite Spiel seiner Trainerkarriere, aber da merkte Miroslav Klose schon, dass der Fußball selbst für ihn noch Unvorhergesehenes bereithält: Die U17 des FC Bayern tat sich recht schwer im Derby bei der SpVgg Unterhaching. Dabei musste der Außenseiter seine letzten Kader-Reserven mobilisieren: Torwart Fabian Scherger zog sich nach elf Minuten eine Luxation der Kniescheibe zu, Ersatzkeeper Moritz Löwe musste kurz vor der Pause wegen einer Notbremse vom Platz. Knapp zwei Minuten hütete dann der Mittelfeldspieler Yigit Hasan Kaygisiz den Kasten. Trotz einer Glanzparade bat er zur Pause um seine Auswechslung, er fühle sich im Tor gar nicht wohl. In der zweiten Halbzeit wuchs Quirin Nuber zwar über sich hinaus, trotzdem drehten die Bayern das Spiel zum 2:1-Sieg. Für den gelernten Rechtsverteidiger Nuber war es bislang der einzige Saison-Einsatz. Der damals von seinem Team enttäuschte Klose brachte indes die Mannschaft auf Kurs, sie ist nun souveräner Tabellenführer.

Störfeuer von der Eckfahne

Es lief die 65. Spielminute im Stadion des SV Wacker Burghausen, als sich Oliver Wargalla beim Stand von 1:1 die große Chance zum Führungstreffer bot. Der Angreifer vom FC Pipinsried ließ einen Burghauser stehen und sprintete mit dem Ball in den Strafraum. Doch dann musste er plötzlich seinen aussichtsreichen Angriff beenden. Ein zweiter Ball rollte in den Sechzehner. Fußball ist - anders als etwa Boule - ein Spiel mit nur einer Kugel, der Schiedsrichter pfiff die Situation ab. Von selbst rollte der Ball in der Regionalliga-Partie Anfang November aber nicht aufs Feld: Wacker-Auswechselspieler Sascha Marinkovic, der sich an der Eckfahne warm machte, hatte ihn hinein gekickt. Eine äußerst unsportliche Aktion, die Marinkovic nicht zum ersten Mal angewandt hatte: "Zuvor hat er so bereits Fabian Hürzeler gestoppt, als der auf der linken Seite den Ball hatte", beobachtete der Pipinsrieder Geschäftsführer Roman Plesche, der auch sagt: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Das gehört sich eigentlich nicht." Schiedsrichter Steffen Ehwald drückte beim ersten Mal noch ein Auge zu, nach dem erneut geglückten Störfeuer gegen Wargalla zeigte er Marinkovic die gelbe Karte. Bestraft wurde aber vor allem Plesches Team: Denn Burghausen schoss kurz darauf die Tore zum 3:1-Sieg, viel bitterer hätte die Auswärtsfahrt nicht enden können. "Aber das war mit der Heimfahrt erledigt für uns", sagt Plesche. Vielleicht die beste Lösung. Protest hätte er ohnehin nicht einlegen können.

Nicht drauf gepfiffen

Schiedsrichter Piet Fentross musste die B-Klassen-Partie zwischen dem SV Eurasburg-Beuerberg II und dem SV Lichtenau Weilheim abbrechen. Und zwar deshalb, weil er sie nicht abpfeifen konnte. Beim Stand von 2:2 kam es kurz vor Schluss zu einem Gerangel mit Zuschauern wegen eines nicht gegebenen Elfmeters. Dabei wurde der Unparteiische von einem kurz zuvor ausgewechselten SVL-Spieler beleidigt. Aber nicht nur das, dieser nahm ihm dann auch noch die Pfeife weg. Bis zu dem Vorfall sei die Partie normal verlaufen, gab Schiri Fentross zu Protokoll. Er nahm die Sache im Nachhinein zwar ganz locker, zumal er von einem Schiri-Kollegen des SVL ein paar Tage später seine Pfeife zurückbekam. Der Verband fand die Aktion aber gar nicht lustig: Das Sportgericht sperrte den Pfeifendieb bis zum 30. Juni 2019.

Videobeweis für den Schiri

Ende September legten Zeitungsberichte aus dem Landkreis Ebersberg den Verdacht nahe, dass die moderne Technik jetzt auch schon den Amateurfußball infiltriert. Bei der B-Klassen-Partie des TSV Aßling II gegen den FC Dardania Bad Aibling habe der Schiedsrichter einen Gästespieler vom Platz gestellt, nachdem er den Liveticker konsultiert hatte: Die dort vermerkte gelbe Karte gegen Adrian Rama (19.), so hieß es, hatte der Schiri vergessen. "Stimmt nicht", sagt der Unparteiische Norbert Höbel auf Anfrage. Das Ganze sei ein "Racheakt" des Tickerschreibers oder des TSV gewesen, um ihn dumm aussehen zu lassen: Aßling hätte nämlich gegen Ende der Partie (Endstand: 0:2) gerne einen Elfmeter bekommen. In Wahrheit habe er, Höbel, zuerst Gelb-Rot gezeigt und nach Protesten der Gäste im Ticker lediglich kontrolliert, dass er richtig liegt - und im Übrigen nur deshalb, weil ihm der Tickerschreiber die Hife angeboten hatte. Dieser wiederum war an jenem Tag tatsächlich sehr eifrig, er bettete sogar Video-Sequenzen von entscheidenden Szenen ein. Unter anderem auch jene, in der Schiri Höbel zum Tickerschreiber läuft. Dabei ist zu sehen, dass er die rote Karte schon lange gezückt hatte. Insofern handelte es sich tatsächlich um einen Videobeweis - einen zu Gunsten des Schiedsrichters.

Unfreiwillige Bewerbung

Manfred Gröber ist weit über den fußballerischen Einflussbereich des TV Aigslbach hinaus bekannt, vor gut zwei Jahren zum Beispiel traf der Stürmer in der 90. Minute, als man den SSV Jahn Regensburg unter Heiko Herrlich aus dem Toto-Pokal kegelte. In der Saison 17/18 war der 25-Jährige dann Torschützenkönig der Landesliga Südost, mit 31 Treffern - trotz des starken Angriffs mit 55 Treffern stieg Aiglsbach ab. Zahlreiche Bayern- und Regionalligisten suchen händeringend nach guten Stürmern. Wenig überraschend fragten viele in Aiglsbach an. Doch was machte Gröber? Er blieb einfach. "Das ist ihm alles zu weit weg", sagt Sportvorstand Georg Schmidt; Aiglsbach liegt 20 Kilometer südöstlich von Ingolstadt. Außerdem habe Gröbers Vater schon für den Verein gespielt, ähnlich erfolgreich im Übrigen, und der habe ja auch nicht daran gedacht, wegzugehen. Doch das Interesse wird nicht abreißen: In der Bezirksliga hat Gröber in 20 Spielen 25 Mal getroffen. Einzige Schwäche im Lebenslauf: Vom Punkt versagen bei den Aiglsbachern regelmäßig die Nerven. Und von derzeit neun verschossenen Elfmetern gehen zwei auf Gröbers Konto.

Niederlage zum Karriereende

Selbst der gegnerische Trainer hatte den Torwart gelobt, denn dieser hatte sein Team lange im Spiel gehalten. "Es hätte auch 6:1 ausgehen können", findet auch Keeper Armin Winzig selbst. Doch er verlor Mitte September mit dem SG Römershag II/SCK Oberwildflecken nach einem Tor in der 71. Minute trotzdem noch 1:2 gegen SG Oberbach/Wildflecken/Riedenberg II. Das ärgerte ihn natürlich, immerhin waren mit der Niederlage auch noch 100 Liter Bier futsch, die für einen Sieg in diesem Derby ausgelobt worden waren. Alles eine ganz normale B-Klassen-Begebenheit? Nicht ganz. Denn drei Wochen zuvor hatte der wohl beste Mann auf dem Platz seinen 60. Geburtstag gefeiert. Seinen Fitnesszustand beschreibt Winzig so: "Ich muss jetzt noch nicht mit dem Kran aus dem Bett geholt werden." Eigentlich ist Winzig nur noch Trainer, fit hält er sich, wenn er sich bei Abschlussspielen als zweite Keeper zwischen die Pfosten stellt. Ob es sich bei seinem Einsatz im Nicht-Altherren-Fußball um einen Altersrekord handelt, weiß Winzig nicht. Sein damaliger Einsatz aus Personalnot sei aber definitiv der letzte gewesen. Das habe er seiner Frau versprechen müssen.

Abschlag ins Glück

Die Rollenverteilung auf einem Fußballplatz ist eigentlich klar geregelt: Torhüter und Verteidiger sind dazu da, Treffer zu verhindern, Stürmer sollen diese erzielen. Doch ganz selten verschwimmen die Grenzen. So wie im April in der Landesliga Südwest beim 4:0 des TSV Gilching-Argelsried gegen den FC Gundelfingen: Da schnappte sich der Gilchinger Torhüter Felix Ruml, 24, den Ball. Per Abschlag beförderte er diesen in die gegnerische Hälfte, wo er aufsprang und über den Gundelfinger Torwart zum 3:0 ins Tor flog - ein ungewohnter Moment des Glücks für den früheren Jugendtorwart des FC Bayern. Für den es übrigens auch schon schlechter lief: Als Stammtorwart der SpVgg Unterhaching verpasste er 2015 einmal das vorletzte Saisonspiel, weil er auf dem Mittleren Ring im Stau stand. Seine Mannschaft gewann zwar trotzdem 1:0 gegen Münster, verlor aber die letzte Partie in Erfurt (mit Ruml auf der Bank) und stieg ab.

© SZ vom 31.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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