Draußen dämmert es schon, der Spielmacher übt im Flutlicht noch ein paar Freistöße, die anderen sammeln die Bälle ein und gehen zurück in die Kabine. Drinnen riecht es nach Schweiß, Pferdesalbe und harter Arbeit, oder besser: nach einem durchaus lukrativen Nebenverdienst. Der Vereinsvorstand, ein lokaler Geschäftsmann, hat sich die letzten Minuten des Mannschaftstrainings angesehen, jetzt steht er im Kabinengang und verteilt neben warmen Worten auch noch ein paar Briefkuverts. Es ist Zahltag. Der Libero ist als erster an der Reihe, er bekommt 300 Euro Festgehalt, was in seiner Steuererklärung jedoch keine Erwähnung findet, und zusätzlich 80 Euro pro Sieg, macht insgesamt 460 Euro. Bar auf die Kralle, nicht schlecht für die Kreisklasse II in Mittelfranken.
Eine fiktive Szene, die sich im bayerischen Amateurfußball jedoch so oder so ähnlich häufig ereignet, ob in einer oberpfälzischen A-Klasse, in einer bayerisch-schwäbischen Kreisliga, über die Bezirks- und Landesligen bis hinauf in die Bayernliga. Im Amateurfußball fließt viel Geld, das weiß jeder, der selbst schon im Erwachsenenbereich gekickt hat. Geredet wird darüber nur selten, und wenn doch, dann meist nach ein paar Gläsern Gin Tonic in der örtlichen Dorfdisco: Prahlerei unter Kumpels und Kontrahenten - als der Coolste gilt, wer am meisten Kohle bekommt. Die Familienväter zahlen von ihrem Salär immerhin einen Teil ihrer Hypothek ab. Aber wie war das nochmal mit dem Geist des Amateurfußballs: Elf Freunde, deren Leidenschaft aus der hobbymäßigen Plackerei erwächst?
Wie viele bayerische Amateurfußballer sich fürs Spielen bezahlen lassen, ist unklar, fest steht aber: Es sind deutlich mehr, als von Verbandsseite nachzuvollziehen sind. Bei weitem nicht jeder Verein stattet seine Bezahlkicker mit Amateurverträgen aus, für die er dann Lohnsteuer und Sozialabgaben entrichten muss. Vieles passiert unter der Hand, Schwarzgeld wird in den Hinterstüberln der Sportheime durchgereicht. Ein klarer Straftatbestand, aber bei vielen Amateurklubs Usus, nicht nur in Bayern. Aus dem Showbusiness Profifußball waren im Zuge der Corona-Krise immerhin vorläufige Signale zu vernehmen, die ein Umdenken in Aussicht stellen: Eine Abkehr vom Exzess, hin zur finanziellen und damit auch zur moralischen Vernunft. Könnte ausgerechnet der eitle Millionärsbetrieb also zum Vorbild für Teile der sogenannten Basis werden?
Der Münchner Soziologe und Fußballfan Tim Frohwein glaubt zwar nicht so recht an die Besserungsgelöbnisse aus der Bundesliga, dafür aber daran, dass sich im Amateurbereich dringend etwas ändern muss - und an die Corona-Krise als passenden Anlass dafür. Er ist der Initiator des Projekts "Mikrokosmos Amateurfußball" und möchte so etwas wie eine bundesweite Community von Vereinen gegen Spielerbezahlung ins Leben rufen. Ein erster Vorstoß, mehr nicht, aber sowohl einige Amateurklubs als auch die ersten Landesverbände hätten bereits ihr Interesse signalisiert. Gerade die institutionelle Unterstützung sei unabdingbar, sagt Frohwein: "Ohne Autorität und Rückgrat vonseiten der Verbände wird so etwas nicht funktionieren, zumindest nicht dauerhaft." Im ersten Schritt sollen sich möglichst viele Vereine zusammenschließen und eine Selbstverpflichtung unterschreiben, von einer unabhängigen Instanz sollen diese dann mit einer Art Gütesiegel ausgezeichnet werden. "Der Breitensport hat eine gesellschaftspolitische Dimension", sagt Frohwein, "wenn wir nicht aufpassen, dann geht uns diese immer mehr verloren."
Frohwein ist auch einer der wenigen, die sich wissenschaftlich mit den Auswirkungen von Spielergehältern auf den Amateursport auseinandergesetzt haben. Eine Befragung unter 200 Amateurkickern hat ergeben, dass bezahlte Spieler die geselligen Aspekte des Vereinslebens deutlich geringer schätzen als ihre unbezahlten Kollegen; sie bleiben nach dem Training seltener im Vereinsheim sitzen und verlassen ihren Klub nach durchschnittlich 2,8 Jahren wieder. Unbezahlte Amateure wechseln den Verein nach durchschnittlich 5,6 Jahren. Kurzum: Der soziale Zusammenhalt, eine Grundfeste des Breitensports, leidet durch finanzielle Zuwendungen erheblich. Belastbare Daten über Summen gibt es kaum, da vieles im Dunklen geschieht. Aus dem Sportentwicklungsbericht - einer zweijährig erscheinenden Analyse, finanziert unter anderem vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) - geht jedoch hervor, dass Spielergehälter den zweithöchsten Posten bei Ausgaben in Amateurfußballklubs ausmachen - noch vor Investitionen in Sportkleidung, Trainingsgeräte und Infrastruktur. Diese Zahlen basieren aber wohlgemerkt auf einer freiwilligen Online-Befragung.
Häufig sind es erfolgreiche lokale Unternehmer, die sich mit dem sportlichen Erfolg auch ein bisschen Anerkennung in der Gemeinde kaufen wollen. Der Amateurverein als Statussymbol, als Spielwiese für Mini-Mäzene. Das kann Folgen haben, wie erst vor ein paar Jahren erst in Bayerisch-Schwaben zu beobachten war: Klubs wie der BC Aichach, der FC Affing oder der TSV Aindling wurden mit viel Geld aufgemotzt, hochbezahlte ehemalige Profis gaben sich die Ehre, am Spielfeldrand wurden bisweilen Prosecco-Bars für die örtliche Oberschicht aufgebaut. In der Bayernliga. Einheimische Zuschauer wandten sich entnervt ab, dann kollabierte das System. Die Mäzene gingen mit ihrer Firma pleite oder Sponsoren verloren das Interesse, beim TSV Aindling marschierte die Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung ein. Die einst so stolze Fußballregion lag brach, für die Klubs mit ihren Jugend-, Schach- und Stockschützenabteilungen ging es um die Existenz.
Es waren abschreckende Beispiele, die in der Amateurszene wenig verändert haben. Der Soziologe Frohwein sagt: "Die Verbände sind vorsichtig. Sie wollen nicht zu genau nachforschen, sonst sind sie noch verantwortlich für eine Welle von Strafverfolgungen."
Und was sagt der Bayerische-Fußballverband (BFV) selbst? Auf Anfrage teilt er mit, dass der Ansatz Frohweins "grundsätzlich zu befürworten" und es denkbar sei, sich "innerhalb der zuständigen Gremien" darüber auszutauschen. Als Basis, auch wenn man als Verband gerne mehr tun würde, könne jedoch nur die "Freiwilligkeit" dienen, da es an der rechtlichen Grundlage für verpflichtende Maßnahmen fehle. Der Verband appelliere daher "an die Vernunft und den gesunden Menschenverstand".
Dem BFV-Präsidenten Rainer Koch war jedenfalls schon vor ein paar Wochen der Tatendrang anzumerken, als er sich ein öffentliches Scharmützel mit Matthias Klemens lieferte, dem Geldgeber des Bayernligisten SV Donaustauf. Klemens hatte unter anderem die ausgefallenen Transferperiode in diesem Sommer moniert. Koch erkannte darin vor allem die "wirtschaftlichen Interessen" einer "GmbH & Co. KG", mahnte an, dass der Amateurfußball "viel zu teuer" und in einigen Fällen "nicht mehr finanzierbar" geworden sei. Und fügte hinzu: "Vielleicht bringt das Coronavirus uns alle wieder zur Vernunft. Hoffentlich ohne Insolvenzen."
Viele Verantwortliche beschleicht zunehmend das Gefühl, dass im Amateurbereich nur noch derjenige gewinnen kann, der auch fleißig mitläuft im Hamsterrad. Maximilian Kratzel etwa war bis vor einem Jahr noch sportlicher Leiter des Münchner Kreisligisten SV Ottobrunn, er schätzt aus langjähriger Beobachtung den Anteil der zahlungswilligen Vereine in den unteren Spielklassen auf bis zu 50 Prozent. Geld, das er und sein damaliger Klub nicht zahlen wollten, was die Kaderplanung zu einem schwierigen und vor allem zeitaufwendigen Unterfangen machte. Neben seinem Job war die ehrenamtliche Tätigkeit irgendwann nicht mehr vereinbar. Er hörte auf und nennt sich nun einen "Aussteiger aus Überzeugung".