Am Straßenrand:Es klappert in der Küche

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Auf einen Reporter bei der Tour de France wartet jeden Tag ein neuer Ort, jeden Tag ein neues Hotel - und jedes Mal fühlt man sich verloren. Doch manchmal erblüht aus der Hilflosigkeit auch Schönes. In der Küche eines Priesters zum Beispiel...

Von Johannes Knuth

Bei der Tour de France fühlt man sich oft verloren. Eigentlich immer. Jeder Tag führt den Reporter auf eine neue Route zum nächsten Etappenziel. Dort wartet ein neues Hotel, das zwar im digitalen Buchungsportal üppig bebildert und gepriesen wurde, dem Navigationsgerät des Autos aber trotzdem unbekannt ist. Auch der Zielbereich sieht jeden Tag anders aus. Immerhin sind es dieselben Ordner, die während der drei Wochen langen Rundfahrt mit der Karawane mitziehen und dem Reporter freundlich und bestimmt erklären, warum man leider über diesen Eingang auf keinen Fall zu den Bussen der Teams gelangt, sondern über den Pfad zwei Kilometer weiter nördlich.

Manchmal zieht einen der Tag auch noch in ein Teamhotel, zum Beispiel, wenn Marcel Kittel am Nachmittag mal wieder eine Etappe gewonnen hat. Derartige Besuche sind zwar oft sehr informativ, doch die Freude verebbt schnell, wenn der Reporter danach um 21:10 Uhr im einzigen Hotel des Ortes eintrifft - und das darin beherbergte, ebenfalls einzige Restaurant des Ortes halt leider nur bis 21 Uhr geöffnet hat.

Oft erblüht aus der Hilflosigkeit aber auch Schönes: Wenn man etwa, einen Tag später, um kurz vor Mitternacht im einzigen Gästehaus eines Ortes ankommt, der eine Haupt-, drei Nebenstraßen und null Restaurants bietet; wenn die Gastgeber, eine orthodoxe Priesterfamilie, den ausgehungerten Gast aus Allemagne aber noch bekocht. Die Gastgeberin trägt vor, was sie alles zubereiten könnte, man nickt eifrig alles ab, auch wenn das angestaubte Schulfranzösisch nicht ausreicht, um die Menüfolge gänzlich zu verstehen. Es sind diese Momente der sprachlichen Orientierungslosigkeit, in denen einem der freundliche Gegenüber auch eine Lebensversicherung andrehen könnte, man würde nicken.

Während es in der Küche klappert, fragt man sich kurz, wie viele Haftpflichtpolicen und Bausparverträge man in den vergangenen Tagen wohl unwissentlich abgenickt hat. Aber dann kommt die Gastgeberin doch mit Salat, Baguette, Fisch und Pizza aus der Küche. Und der Gastgeber trägt zwei Tonkrüge hinterher, die er sogleich mit deutschem Bier befüllt. Habe er in Bayern erstanden, als er einen befreundeten Priester besuchte, erzählt er stolz. Dann fühlt man sich plötzlich nicht mehr verloren. Sondern: ausgesprochen heimisch.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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