Afghanische Frauenfußball-Nationalmannschaft:Die Freiheit ist rund

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Voller Kampfgeist trainieren Afghanistans Fußballerinnen in Stuttgart, und dabei geht es längst nicht nur um den Sport.

Peter Münch

Zhela ist Torfrau, aus Leidenschaft und aus Berufung. Doch dieses Tor, das ist ihr fremd. So hoch - 2,44 Meter. Und so breit - 7,32 Meter. In Kabul ist es kleiner. Alles, auch das Tor. In Kabul ist der Rasen auch nicht so grün und der Ball nicht gar so glitschig, dass er ihr doch tatsächlich durch die Hände flutscht und ins Gesicht knallt. Kurz geht sie zu Boden, dann steht sie wieder auf. Sportlerpech.

Die afghanische Frauenfußball-Nationalmannschaft beim Training in Stuttgart. (Foto: Foto: dpa)

Zhela Naem hat jetzt eine rote, leicht geschwollene Wange, vor allem aber hat sie einen Traum. Es ist der Mädchen-Traum einer 17-Jährigen, den sie träumt, wenn sie in Kabul mal wieder im Dunkeln sitzt und in der Kälte, weil es keinen Strom gibt. Oder wenn sie diesen Knall hört, donnernd und grollend, den Knall einer Bombe. Dann träumt sie von einem Leben als Fußballspielerin irgendwo in einem anderen Land. Und wenn sie den Traum das nächste Mal zu Hause träumt, dann sieht sie sich wahrscheinlich in diesem großen, fremden Tor und macht eine spektakuläre Parade. Sportlerglück.

Denn nie war Zhela Naem ihrem Traum näher als in diesen Tagen, da sie mit 17 anderen jungen Frauen von Kabul aus nach Deutschland gereist ist, wo sie neue Trainingsanzüge bekamen, Fußballschuhe, Trikots, Stutzen - einfach alles, was man so braucht als Frauen-Fußball-Nationalmannschaft von Afghanistan. Es ist ein richtiges Trainingslager, für zwei Wochen fern der Heimat. Und nun stehen die Frauen an diesem kalten Wintermorgen auf einem Fußballplatz der Sportschule Ruit nahe Stuttgart, manche mit Kopftuch, manche mit Wollmütze, manche mit offenem Haar.

Deutscher Fußball-Entwicklungshelfer in Kabul

"Ladies", ruft der Trainer, "rumlaufen und mit dem Ball spielen." Die Frauen treiben im Laufschritt Atemwölkchen und den Ball vor sich her, und man sieht Zhela an, dass das Laufen nicht ihre Sache ist. Vielleicht hat sie sich ja deshalb fürs Tor entschieden in den letzten Tagen, denn eigentlich war sie als Feldspielerin ins Nationalteam gekommen. Doch ihre Entscheidung steht fest, sie steht im Tor. Den Trainer stimmt das hoffnungsvoll. "Sie ist ein Bewegungstalent", sagt Klaus Stärk. Das kann er nicht von jeder seiner Spielerinnen sagen.

Seit 2003 ist Stärk, 54, als eine Art Fußball-Entwicklungshelfer in Kabul im Einsatz. Vorher war er im Libanon, in der Mongolei, in Pakistan. Afghanistan ist anders. Anders und gefährlicher, weshalb Stärk sich nun eine Bedenkzeit von sechs Wochen erbeten hat, um zu entscheiden, ob er weitermacht. Zusammen mit seinem Partner Ali Askar Lali, 51, einem Exil-Afghanen, der vor seiner Flucht Nationalspieler war und später in der Oberliga bei Paderborn kickte, bildet er seit 2003 Trainer aus, kümmert sich um die Jugend, um das Nationalteam der Männer und auch um die Frauen. Bis zu 200 000 Euro stellt die deutsche Sportförderung dafür insgesamt pro Jahr zur Verfügung. Und die Frage, ob man Afghanistan, wo so vieles fehlt, wirklich nachhaltig mit dem Aufbau des Frauenfußballs helfen kann, beantwortet Ali Askar Lali knapp und klar: "Beim Frauenfußball steht der Fußball selbst nicht so im Vordergrund. Die Mädchen sind Vorreiterinnen. Sie machen den Weg frei für die Zukunft. Im Sport und für Frauenrechte."

Ein Symbol sollen diese Frauen also sein, die neue Zeit naht in Trainingshosen und Stollenschuhen. Und zumindest Zhela ist nicht bange, wenn sie ein Gegenbild verkörpern soll zu den Frauen mit Burka aus den unseligen Taliban-Tagen, in denen Mädchen wie sie nicht zur Schule, nicht zur Arbeit, ja nicht einmal aus dem Haus gehen durften. "Viele Leute in Afghanistan glauben immer noch, Fußball ist nichts für Mädchen", sagt sie. "Die sagen auch, Frauen sollen nicht Autofahren, nicht studieren, nicht arbeiten. Aber wir müssen zeigen, dass wir das können. Wir müssen das den Männern zeigen." Zhela ist nun in Fahrt. So entschlossen, wie sie nun spricht, traut man ihr auch zu, eine Abwehrreihe zu dirigieren oder ihr Land ein kleines Stück voranzubringen.

Das geht natürlich nur, weil ihre Eltern sie unterstützen. Die Trainer kennen ein paar Fälle, da waren die Eltern weniger begeistert und die Brüder wütend. Es gab auch die Sache mit der Lehrerin, die Mädchen zum Fußballspielen brachte - und deshalb einen Brief vom Erziehungsministerium bekam mit der Drohung, sie in die Provinz zu versetzen. Bei Zhela aber hat der Vater, ein Ingenieur, gesagt: "Du musst rausgehen und lernen. Du musst kämpfen." So haben sie es gemacht, Zhela und ihre zwei Jahre ältere Schwester Azadeh, die als Mittelstürmerin für ihr Land Tore schießen will, an diesem Morgen aber leider nur ihre Schwester getroffen hat, mitten ins Gesicht. Doch wenn sie rausgehen zum Training, dann versteckt sie ihre Sportsachen lieber vor den Nachbarn auf der Straße.

Zhela spielt zu Hause in einer Mannschaft namens Danash, das heißt Erziehung. Die Konkurrenz nennt sich Hindukusch oder Shafaq (Morgendämmerung). 22 Frauenteams gibt es in Kabul mit ungefähr 600 Spielerinnen, anderswo im Land wird der Frauenfußball nicht gepflegt. Bei den Männern ist das anders, da sind landesweit bis zu 30 000 Spieler in Vereinen organisiert. Zu Top-Spielen kommen 25 000 Zuschauer ins Kabuler Stadion, dorthin, wo in anderen Zeiten, bevor der Fußball ganz verboten wurde, in der Halbzeit die Hinrichtungen vollstreckt wurden.

Die Frauen trainieren und spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinter den hohen Mauern des Militärcamps der Isaf-Friedenstruppe in Kabul. "Es ist ein Gras-Dreck-Platz", sagt Trainer Klaus Stärk. Ein Kleinfeld mit Handballtoren, drei Meter breit, zwei Meter hoch. An drei Tagen die Woche geht Zhela hierher zum Training. Für eine Stunde bekommen sie den Platz, "das ist viel zu kurz", sagt sie. Doch diese Stunden sind die schönsten der ganzen Woche, und wenn man Zhela fragt, was Fußball für sie bedeutet, dann lächelt sie und sagt: "Fußball ist mein Leben."

© SZ vom 31.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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