Achter:Start-Ziel-Niederlage

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Sieger und Besiegte: In der hinteren Reihe jubeln die Briten, während vor ihnen die zweitplatzierten Deutschen enttäuscht dreinblicken. (Foto: Tamas Kovacs/dpa)

Das deutsche Flaggschiff muss eine Machtdemonstration der Briten verkraften. Am Ende des Rennens rettet der deutsche Achter gegen die forschen Niederländer wenigstens Silber.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

"So, das müssen wir jetzt erstmal ein bisschen verknusen", sagte Martin Sauer, als er wieder Land unter den Füßen hatte. Verknusen im Sinne von verdauen, meinte er. Man konnte dem Steuermann des Deutschlandachters in den dann folgenden Momenten sehr schön dabei beobachten, wie der Verdauungsvorgang allmählich einsetzte. Von recht schmackhaft bis schwer bekömmlich war alles dabei.

Das sogenannte Flaggschiff des deutschen Ruderverbandes (DRV) hat bei diesen Olympischen Spielen von Rio also Silber geholt. Knapp vor den Niederlanden, aber doch recht deutlich hinter Großbritannien war es über die Ziellinie gekommen. Einerseits konnte sich Sauer schon ein wenig freuen über dieses Ergebnis: "So eine Silbermedaille ist ja auch nicht nichts", sagte er. Andererseits unternahm er gar nicht erst den Versuch, seine Enttäuschung zu verbergen. "Ich gewinne lieber, sage ich ganz ehrlich."

So wie vor vier Jahren bei den Spielen in London, zum Beispiel. Damals war der deutsche Achter den Briten noch davon gerudert, mit Sauer als Steuermann. Es gab hier in Rio also einen Titel zu verteidigen. Dass daraus nichts werden würde an diesem verhältnismäßig windarmen Samstagnachmittag auf der olympischen Regattastrecke auf der Lagoa Rodrigo de Freitas, das war recht schnell ersichtlich. Die Briten hatten den besten Start, nach 500 Meter waren sie bereits ein kleines Stück voraus. Auf halber Strecke, bei der 1000-Meter-Marke, war daraus bereits ein großes Stück geworden. "Da war klar, heute können wir die Briten vergessen", erzählte Schlagmann Hannes Oczik später.

Auch nach dem Schlussspurt bleibt eine halbe Länge Rückstand

Im zweiten Rennabschnitt mussten sich Oczik und seine Kollegen vor allem darauf konzentrieren, nicht auch noch von dem Boot mit den orangegewandeten Ruderern abgefangen zu werden. Angetrieben von den starken Niederländern schoben sich die Deutschen im Schlussspurt sogar nochmal ein klein wenig an die Briten heran, am Ende fehlte aber immer noch eine halbe Länge. Es war ein britischer Start-Ziel-Sieg, der zu keiner Zeit wirklich in Gefahr geriet. Eine Machtdemonstration.

"Das war schon erstaunlich, ich hätte ein engeres Rennen erwartet", sagte der bestens gelaunte Jürgen Grobler am Streckenrand. Der erfahrene Trainer aus Magdeburg war zu DDR-Zeiten ins Staatsdoping verstrickt. Auf seiner Arbeitskleidung steht heute aber "Team GB". Er ist der Chefcoach des neuen Gold-Achters von Großbritannien. Die Briten nennen ihren Jurgen: "The Master of British Rowing". Woran es gelegen haben könnte, dass seine vor vier Jahren noch deutlich geschlagenen Boys dieses Rennen von vorne bis hinten dominierten? "Gutes Training. Zum richtigen Zeitpunkt fit", sagte Grobler.

Der Bundestrainer redet sich in Rage

"Großbritannien ist grundsätzlich die stärkste Rudernation, die es gibt", so erklärt sich Bundestrainer Ralf Holtmeyer den Ausgang dieses Rennens. Für ihn bildet die Reihenfolge durchaus die tatsächlichen Kräfteverhältnisse ab. Die Briten hatten in den vergangenen Jahren auch schon die Weltmeisterschaften dominiert. "Vor allem", sagte Holtmeyer, "sind sie breiter aufgestellt und besser organisiert." Der Bundestrainer nutzte dieses Ergebnis, das auch ihn mit gemischten Gefühlen zurückließ, für eine Generalkritik am deutschen Ruderverband, dem er unter anderem "Führungsschwäche" attestierte. Noch auf dem Weg zur Siegerehrung redete er sich regelrecht in Rage ("Da entscheiden zu viele Leute, die noch nie auf so einer Regatta waren"). Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse man das gesamte System in Frage stellen, glaubt Holtmeyer: "Wir können froh sein, dass die acht Jungs, die da sind, das rausgerissen haben."

So oder so ähnlich sieht das auch Steuermann Sauer. "Wir mussten jetzt vier Jahre mitansehen, wie professionell in Großbritannien Rudersport betrieben wird", sagte er. Auf der Insel seien die Spitzenruderer organisiert wie die Profiabteilung eines Fußballklubs. Und in Deutschland? "Da reden an 20 Stützpunkten 200 Trainer mit, obwohl wir nur einen Achter brauchen", schimpfte Sauer.

Etliche Fahrer dürften nun ins Arbeitsleben wechseln

Die Geschichte vom stetigen Aufstieg und Niedergang des Achters ist ein Leitmotiv im deutschen Sport: Der sensationelle Olympiasieg von Seoul, die verpatzte Qualifikation für Sydney, die Enttäuschung von Peking, das Gold in London. Es ging immer auf und ab. Genau das ist aber das Problem, glaubt Sauer. Es kann keine Konstanz geben, weil die Besetzung des Achters nach jeden Spielen regelmäßig auseinanderfällt. Diesmal war immerhin noch das halbe Siegerboot aus London dabei.

Die Besatzung ist im Durchschnitt noch relativ jung, im Grunde könnte sie locker noch vier Jahre lang an der Perfektion ihrer Koordination arbeiten und dann 2020 in Tokio wieder angreifen. Sauer, 33, sagte: "Ich kann jetzt schon versprechen: Wir werden diesen Achter nicht nochmal bei olympischen Spielen sehen." Die meisten werden ins Arbeitsleben gehen, er selbst will nach dem Urlaub entscheiden, ob er weitermacht.

Die deutschen Ruderer haben versucht, sich so gut es eben ging über diese Silbermedaille zu freuen. Mehr als das war unter den gegebenen Bedingungen nicht drin - so könnte man ihre gesammelten Vorträge, zusammenfassen. Als alles verknust war, sagte Martin Sauer: "Für uns kamen diese Spiele im Grund zwei Jahre zu früh. Und die nächsten werden wieder zwei Jahre zu spät kommen."

© SZ vom 14.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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