Abschied von Ballack:Bayern sucht den Kronprinzen

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Der Verein hat sich mit dem Verlust seines Mittelfeldstrategen abgefunden. Aber dem Klub werden nicht nur Ballacks Tore fehlen, sondern auch seine Autorität auf dem Platz.

Philipp Selldorf

Auf den Verlust seines Mittelfeldstrategen hat sich der FC Bayern schon seit ein paar Monaten innerlich eingerichtet. Wann immer Manager Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in den vergangenen Wochen erklärten, der Klub habe sich darauf vorbereitet, Michael Ballack ersetzen zu müssen, sprachen sie aus voller Überzeugung.

Dass er seinen Bayern-Fans den Rücken kehrt ist sicher. Wer den Teamplayer Ballack ersetzen kann, weiß Hoeneß noch nicht. (Foto: Foto: Reuters)

Deswegen hat die Nachricht, dass Ballack ein Engagement beim englischen Meister FC Chelsea erhalten soll, keine besonderen Irritationen im Klub hervorgerufen.

Lockt Olympique Lyon?

Die Meldung wird im Übrigen ernst genommen im Bayern-Vorstand - im Gegensatz zu den vielen irrigen Gerüchten, die bisher in den Medien verbreitet wurden. Dank ihrer internationalen Kontakte waren die Münchner einigermaßen informiert über die Sondierungen von Ballacks Agent Michael Becker in Spanien, Italien und England.

Dabei haben sie auch mitbekommen, wie schwierig das Geschäft des in Luxemburg ansässigen Rechtsanwalts gewesen ist. Die bevorzugten Adressen - besonders die in Madrid - zeigten keine Neigung, sich frühzeitig zu dem Handel mit Ballack zu bekennen.

Im Januar soll Becker deshalb sogar mit Olympique Lyon in Verbindung getreten sein. Olympique ist zwar der Spitzenklub schlechthin in Frankreich, der zudem ein begabtes Team unterhält - doch ist Lyon nicht der Ort mondäner Fußballerträume.

Ballack ist motiviert wie einst in Leverkusen

Den Weg zu einem attraktiven Engagement hat sich Ballack allem Anschein nach durch seine Tore und seine jüngsten Auftritte selbst erschlossen. Vielleicht hat ihn aber auch die Gewissheit, dass sein Wunsch nach einem lukrativen und sportlich verheißungsvollen Wechsel ins Ausland in Erfüllung geht, noch einmal besonders angespornt.

Ähnlich verhielt es sich ja damals im ersten Halbjahr 2002 in Leverkusen, als Ballack im Bewusstsein des (im Dezember 2001 bekannt gemachten) Vertrages mit dem FC Bayern eine herausragende Rückrunde in Meisterschaft und Europacup spielte.

Was die weitere Motivation des 29-jährigen Nationalspielers angeht, gab es im Übrigen durchaus Zweifel bei den Münchnern: Man fragte sich, ob Ballack im Fall der Vertragsverlängerung bis 2010 - dem mutmaßlichen Schlussdokument seiner Karriere - erneut zu Höchstleistungen imstande sein würde. Zumal da der Reiz der Weltmeisterschaft in Deutschland nicht mehr bestanden hätte.

Andererseits dürfte den Vereinsgewaltigen klar sein, dass sie im Sommer den Mittelpunkt ihrer Mannschaft verlieren. Ballacks Tore, so wertvoll sie in den letzten Wochen waren, werden dem Team dabei weniger fehlen als die ordnende Kraft und die Autorität, die auf dem Platz von ihm ausgehen. Wer soll ihn in dieser Rolle ersetzen?

Die Klubchefs müssen nun die Antwort auf die Frage finden, ob sie einer internen Lösung mit vorhandenen Spielern vertrauen oder selbst auf dem Transfermarkt tätig werden. Keine leichte Entscheidung.

Hoffen auf Julio dos Santos

Die Konstellation im eigentlich überbesetzten Mittelfeld sorgt zunehmend für Unruhe. Um die beiden Plätze neben Ballack und dem defensiven Abräumer Demichelis tragen Ze Roberto, Deisler, Schweinsteiger, Hargreaves, Salihamidzic und Karimi sowie - mit den gebotenen Abstrichen - Scholl und Jeremies einen Konkurrenzkampf aus, der für das Team zugleich Antrieb und Belastung bedeutet.

Die Liste ist damit aber noch nicht komplett: Auch Roque Santa Cruz steht, wenn er wieder gesund ist, zur Disposition, um Ballack zu ersetzen. Dazu müsste er aus dem Angriff ins offensive Mittelfeld umziehen.

Dazu kommt noch der im Winter in Paraguay erworbene Julio dos Santos, dem große Fähigkeiten zugetraut werden. In der Bundesliga ist der 22-Jährige mangels geeigneter Physis noch nicht in Erscheinung getreten, derzeit befindet er sich in einer Art Sonderausbildung.

Die Rivalen im Blick

Als Spielertyp wird er mit Argentiniens Mittelfeldgenie Juan Riquelme verglichen. Aber natürlich weiß man auch, dass er zu jung und unerfahren ist, um so eine zentrale Rolle auszufüllen. In Anbetracht der Bedenken um die Kadergröße erscheint ein Zukauf für das Mittelfeld zwar eher unwahrscheinlich.

Aber es bleibt auch Spielraum für neue Erwägungen: Ze Roberto, der eine exzellente Saison spielt, hat seinen Vertrag noch nicht verlängert. Scholl und Jeremies könnten sich aus Altersgründen zurückziehen.

Möglicherweise hängt die Entscheidung auch davon ab, was die Rivalen Bremen, Hamburg und Schalke im Sommer treiben. Besonders auf die Bremer wird zu achten sein, wenn deren Plan aufgeht, die Abwehr mit dem Nationalspieler Per Mertesacker von Hannover 96 zu verstärken. Dass die Münchner in Gestalt von Tim Borowski den Ersatz für Ballack beim SV Werder anfordern, ist nicht zu erwarten.

Der Hamburger SV und Werder wiederum sind die härtesten Widersacher der Münchner im Werben um Lukas Podolski. Abgesehen von den finanziellen Geboten wird diese Partie wohl auf der Ebene von Podolskis Management entschieden. In dem gibt es mehrere Meinungen über die richtige Wahl des nächsten Arbeitgebers für den Kölner Nachwuchsstürmer.

© SZ vom 02.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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