Abfahrt in Kitzbühl:Jo, eh!

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Österreichs umjubelter Erlöser fällt aus der Reihe: Streif-Sieger Matthias Mayer schätzt die Stille und engagiert sich sozial.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Die Frage war eher simpel, aber manchmal ebnen ja die schlichten Fragen den Weg zu den interessanteren Antworten. Was das Schönste abseits der alpinen Skirennen in Kitzbühel für ihn sei, wurde Matthias Mayer zu Beginn des 80. Hahnenkamm-Wochenendes gefragt, nachdem er gerade Zweiter im Super-G geworden war. Viele Kollegen hätten wohl die Extreme erwähnt: die gewaltige Zuschauerkulisse, der Streifzug durch die Lokale nach einem gelungenen Rennen, das "Übermaß in allem", wie der Schweizer Didier Cuche, der Rekordsieger in der Abfahrt, das Spektakel hier einmal umschrieben hat. Und Mayer? "Ich finde das Einfahren oben am Berg immer gewaltig", sagte er, "die Kulisse, das schöne Wetter, dass man auch die Aussicht a bisserl genießt." Die fand er, sei nämlich "wirklich herrlich".

Matthias Mayer hat am Samstag dann noch die Abfahrt auf der Streif gewonnen, Zweiter wurde sein Teamkollege Vincent Kriechmayr, zeitgleich mit dem großen Favoriten Beat Feuz aus der Schweiz (0,22 Sekunden zurück). Es war der erste Sieg für die Gastgeber seit Hannes Reichelt vor sechs Jahren und ihr 24. insgesamt auf der Abfahrt - drüber kommt nicht mehr viel in der Skination und was drunter ist, ist ja eh wurscht. "Das freut uns ganz besonders", sagte Peter Schröcksnadel im ORF, der allmächtige Präsident des Österreichischen Skiverbands - er gab sich sichtbar Mühe, seine gewaltige Freude nicht zu sehr raushängen zu lassen. In Woaheit, wie sie hier sagen, würden sie sehr vieles für diesen Sieg eintauschen: in der Königsdisziplin, im rot-weiß-roten Ski-Kolosseum vor 50 000 Menschen, die am Samstag wieder ein Oktoberfest im Schnee feierten. "Der Druck zu Hause ist schon groß", gab Schröcksnadel zu, die Saison war bis zuletzt zäh verlaufen, "Ski-Krise", titelten die Zeitungen. Wobei dem Präsidenten offenbar entfallen war, wer den Druck auch geschürt hatte: "Ein Sieg sollte schon dabei sein", hatte Schröcksnadel vorher erklärt.

Keinerlei Angst vor großem Gefälle: Abfahrtssieger Matthias Mayer. (Foto: Andreas Pranter/imago)

Am Ende konnte man es auch so sehen wie Romed Baumann, der bis vor einem Jahr in Diensten des ÖSV stand und am Samstag als Siebter bester Deutscher war: "Ganz Österreich hat den Sieg gefordert", sagte Baumann. Und Mayer hatte die gewaltige Sehnsucht gestillt. Wieder einmal.

Der 29-Jährige ist ein logischer Sieger und gleichzeitig auch nicht. Er passt mit seiner allürenfreien Art so gar nicht in das entrückte Treiben am Hahnenkamm, auch die Sieger sind hier ja oft gewaltiger: ein Hermann Maier etwa, der sich animalisch in die Rennen warf, ein Fritz Strobl, der seinen Erfolg später vertonte ("Ich bin der Mozart aus der Mausefalle / der Paganini mit der Skischuhschnalle"). Mayer beginnt seine Antworten in Interviews oft mit einem "Jo" oder "Jo, eh", was sowohl flammende Zustimmung als auch kühle Abneigung signalisieren kann, und wenn ihn jemand fragt, wieso er dieses oder jenes tue, dann sagt er schon mal: "Jo, warum ned?"

Logisch war sein Erfolg wiederum, weil in Kitzbühel oft auch die gewinnen, die in sich ruhen. Die auch a bisserl die schöne Aussicht genießen und nicht ständig hasardieren auf diesem Ritt, der neben all den Gemeinheiten viele unscheinbare Passagen aneinanderknüpft. "Er hat nicht so viele Siege auf dem Dach", sagte Feuz, mit Blick auf Mayers acht Erfolge im Weltcup, "aber er holt die wichtigen Siege." Mayer hat in Kitzbühel nun sowohl den Super-G (2017) als auch die Abfahrt in seinen Besitz überführt, dazu olympisches Gold in der Abfahrt (2014) und im Super-G (2018) - diese Kombination hat noch gar kein Schnellfahrer geschafft. Am Samstag ließ er wieder einmal Kraft mit technischer Anmut verschmelzen, es war eine Fahrt wie aus einem Guss. Da durfte er sich im Zielraum auch eine seltene Extravaganz gönnen: Mayer streckte beide Arme von sich und blickte in den Himmel, als bete er die Skigötter an, während sich die Ehrengäste erhoben - Arnold Schwarzenegger reckte auf der Tribüne einen Arm nach oben, als sei er zu seiner eigenen Statue gefroren. Aus den Boxen dröhnte der Radetzky-Marsch.

Der erste österreichische Abfahrtssieger seit 2014: Matthias Mayer. (Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Mayer wurde später gefragt, wie er es denn schaffe, ständig die großen Siege auf seine Seite zu ziehen. Jo, sagte er, so richtig könne er das auch nicht erklären. Ein Grund könnte sein, dass er früh lernte, wie klein all die angeblich großen Skirennen in Woaheit sein können. Er litt 2012 an einer Lebensmittelvergiftung, eine schwere Arthritis folgte. 2015 stürzte er in Gröden so schwer, dass ein Brustwirbel brach und ihm zeitweise ein Leben im Rollstuhl drohte. Das habe ihm Demut verliehen, hat Mayer einmal gesagt. Er messe sein Glück ohnehin nicht in Siegen, sondern dass es ihm und seiner Familie gut gehe; er wohnt bis heute in Afritz in Kärnten, 1500 Einwohner, Postkartenidylle. Entscheidungen treffen meist gemeinsam in einer Art Familienrat mit Mutter, Bruder, Freundin und Vater Helmut, der 1988 Olympiasilber im Super-G gewann. Die Medaille des Vaters sah er früher jeden Tag in der Wohnung, aber er selbst habe keinen Trophäenschrank, sagte Mayer am Samstag. Die wichtigen Devotionalien habe er eh immer "jemand Speziellem in meinem Leben geschenkt".

Eigentlich passe das ja nicht so recht zusammen, hat Mayer einmal der Neuen Zürcher Zeitung erzählt: sein Ehrgeiz als Individualsportler und die Nächstenliebe, die sich aus seinem christlichen Glauben speise. Als für fünf Jahre auch viele Österreicher von geschlossenen Grenzen sprachen, entschied der Mayersche Familienrat, dass man zwei irakische Familien aufnimmt, die per Schlauchboot und zu Fuß nach Österreich geflüchtet waren. Sein Fanklub zieht auch nicht stumpfsinnig feiernd durch den Weltcup, sondern unterstützt soziale Projekte und besucht Wettkämpfe im Behindertensport. Mayer redet nicht gerne über seinen Glauben, er will nicht den Eindruck erwecken, als würde er für seine Erfolge um Beistand suchen. Wenn er bete, dann "für das Leben, das ich leben darf".

Ob er nicht jetzt eigentlich seine Karriere beenden müsse, wurde Mayer in Kitzbühel noch im Scherz gefragt, er habe jetzt doch fast alle Hauptgewinne seines Sports erstanden? Viele Kollegen hätten vermutlich auf die nächsten Großereignisse verwiesen, die alpine Ski-WM 2021, die Winterspiele 2022, im Sport muss es ja immer weitergehen. Mayer sagte, er werde so schnell sicher nicht aufhöre, dafür bereite ihm der Sport "noch "zu vüüü Spaß". Er wolle "einfach gut Skifahren" und den Spaß daran bis zum Ende der Karriere nicht verlieren. Das sei alles.

Der Rest kommt dann ja oft eh von allein.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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