Kommentar:Ein kleines Lächeln

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Bronze im Mixed-Synchronspringen vom 3-Meter-Brett: Tina Punzel (Dresden) und Lou Massenberg (Berlin). (Foto: Clive Rose/Getty Images)

Der DSV hat ein Führungsteam, das vieles anders machen will. Dessen Bewertung sollte man nicht zu sehr mit einzelnen Ergebnissen verknüpfen.

Von Claudio Catuogno

Wer ein Gefühl dafür bekommen will, wie nahe Triumph und Pleite im Schwimmen - und nicht nur dort - beieinander liegen, der kann ja mal auf seinem Smartphone die Stoppuhr starten und eine Weile dabei zusehen, wie die Ziffern hinter dem Komma tanzen. Was sind vier Hundertstel, wenn man vorher 100 Meter Freistil zu schwimmen hatte? Startsprung, Delfinkicks unter Wasser, Armzüge, Rollwende, dann wieder zurück - und am Ende hoffentlich die Finger im optimalen Winkel ausgestreckt beim Anschlag.

Was sind drei Zehntel nach 200 Metern Brust? Mit dem menschlichem Auge kaum zu erkennen. Aber am Ende kann davon abhängen, ob der Vertrag des Sportdirektors oder des Cheftrainers verlängert wird, oder ob seine Konzepte als gescheitert zu gelten haben.

Vier Hundertstel Vorsprung: So viel bzw. wenig hatte Britta Steffen 2008 bei ihrem Olympiasieg in Peking. Drei Zehntel trennten Marco Koch bei Olympia 2016 in Rio von Bronze. Es sind dies der größte Rausch und der größte Kater im deutschen Schwimmen der letzten Jahre.

Nun haben also die Weltmeisterschaften in Gwangju auch bei den deutschen Beckenschwimmern erfreulich begonnen. In der ersten WM-Woche hatten bereits die Freiwasserschwimmer als erfolgreichste Nation abgeschlossen - was fast einem Wunder gleichkam nach null WM-Medaillen 2017. Die Wasserspringer gewannen am Ende einmal Bronze und sicherten einige wertvolle Quotenplätze für Olympia 2020 in Tokio. Und die Wasserballer sind - erstmals seit sechs Jahren - nicht nur zurück auf der WM-Bühne, sondern sogar ins Viertelfinale eingezogen. Fast könnte man darüber vergessen, dass sie in der Vorrunde gegen Japan schon fast raus waren. Hätte nicht ihr Torhüter noch irgendwie den Kopf an den letzten Ball bekommen.

Und am Sonntag nun im Pool von Gwangju: Haben die 4x-100-Meter-Freistil-Staffeln bei Frauen und Männern die Qualifikation für Tokio geschafft. Und dann bog da auch noch die 18-jährige Angelina Köhler um die Ecke nach ihrem Vorlauf über 100 Meter Schmetterling, und siehe da: kein enttäuschtes Gesicht, kein "Ich hab' das Wasser irgendwie nicht greifen können", wie man es von verunsicherten deutschen Schwimmerinnen und Schwimmern in der Vergangenheit so oft gehört hat. Klar, "megaaufgeregt" war sie, aber dann hat ihr ein älterer Teamkollege mit auf den Weg gegeben: "Einfach lächeln!" Das tat sie dann auch, zog ins Halbfinale am Abend ein - am Ende stand Rang 13 zum WM-Debüt.

Die deutschen Schwimmer haben seit einigen Monaten ein neues Führungsteam, das vieles anders machen will, atmosphärisch wie konzeptionell. Aber gerade weil das Schwimmen so komplex ist, sollte man die Bewertung dieses Neustarts jetzt nicht zu sehr mit einzelnen Ergebnissen verknüpfen. Auch dann nicht, wenn es nach Jahren der Enttäuschung womöglich mal wieder etwas zu feiern geben sollte, auch bei den Beckenschwimmern. Das gilt nicht zuletzt für das neue Führungsteam selbst. Seht her: Unsere Konzepte greifen? Seht her: Jetzt läuft es wieder? Dafür ist in den letzten Jahren zu viel Vertrauen verloren gegangen, als dass sich diese Fragen durch eine Woche in Südkorea beantworten ließen.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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