2. Handball-Bundesliga:Das Versprechen

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„Er hat das Zeug, ein Erstliga-Spieler zu werden.“ – Max Jaeger, hier beim 27:19 gegen N-Lübbecke, beeindruckt derzeit seinen Trainer Jan Gorr. (Foto: imago images / pmk)

Max Jaeger hat sich selbst gefunden - in Coburg spielt sich der frühere Gummers­bacher in den Vordergrund.

Von Sebastian Leisgang

Natürlich fuhr Max Jaeger auch an jenem Junitag nach Hause. Es war ein großer Tag für den VfL Gummersbach, und ein großer Tag für den VfL Gummersbach ist ein großer Tag für Jaeger. Der Linksaußen spielt mittlerweile zwar für den HSC Coburg, Gummersbach aber ist seine Heimat. Dort hat sein Vater Handball gespielt, dort ist sein Großvater eine Legende, dort ist er derjenige geworden, der er inzwischen ist.

Jaeger saß an jenem Junitag also auf dem Sofa und verfolgte das Gummersbacher Spiel mit seiner Familie vor dem Fernseher. Es war der letzte Spieltag der vergangenen Saison, und auch wenn diese Formulierung im Sport inflationär bemüht wird: Für Gummersbach ging es um alles.

Die Niederlage in Aue will Trainer Gorr nicht als Ausrutscher werten

Der VfL ist nicht irgendein Handball-Klub - er ist einer der erfolgreichsten überhaupt, ein Mythos, irgendwie aber auch im Gestern gefangen. An diesem Junitag rang er mal wieder mit sich selbst. Er kämpfte zum x-ten Mal gegen den erstmaligen Abstieg aus der Bundesliga, und diesmal verlor er den Kampf. Gummersbach spielte in Bietigheim-Bissingen unentschieden und stieg nach 53 Jahren tatsächlich ab. "Ich war total perplex", sagt Jaeger, "ich wusste gar nicht, was da gerade passiert ist."

Egal, wie schlecht es in all den Jahren lief: Es konnte sich ja doch keiner vorstellen, dass es Gummersbach tatsächlich mal erwischt. In jenem Augenblick aber, als es schließlich geschah, da war es für einige Minuten still im Wohnzimmer der Jaegers, beinahe so, als hätte es einen Trauerfall gegeben. Wenn Jaeger jetzt über diesen Moment spricht, wirkt er gefasst. Er weiß ja, dass es seinem VfL wieder gut geht. Trotz des Abstiegs.

Jaeger, 22, hat ein jugendliches Gesicht. Er ist zwar fast einsneunzig groß, wenn er aber in der Deckung neben seinen Mitspielern steht, könnte man ihn beinahe für einen Jugendspieler halten. Und vielleicht ist es ja auch dieser Punkt, der erklärt, warum Jaeger der Durchbruch bei seinem Heimatverein verwehrt blieb - und warum er jetzt, in Coburg, derart aufblüht. "Selbst wenn du ein gutes Spiel machst, sieht der Trainer in dir noch den Jugendspieler", sagt Jaeger über seine Zeit in Gummersbach: "Als Eigengewächs ist es schwieriger, sich das Vertrauen zu erarbeiten."

Manchmal kam Jaeger mitten in der Nacht von einem Auswärtsspiel zurück und musste tags darauf für die zweite Mannschaft spielen. In Coburg hingegen setzte Jan Gorr auf Anhieb auf ihn. "Er war am Anfang ein Spieler auf dem Sprung", sagt der HSC-Trainer, "mittlerweile hat er sich mit seiner ruhigen und disziplinierten Art rangearbeitet und bewiesen, dass er Verantwortung übernehmen kann."

Im Torwurf, im Positionsangriff, auch in der Deckung: Jaeger hat sich enorm entwickelt, seit er vor rund einem Jahr zum HSC kam. "Er ist im Gesamtpaket bemerkenswert", findet Gorr - schließlich verteidigt Jaeger auf der Halbposition, obwohl er ein Linksaußen ist.

Es gibt Spieler, bei denen es wie ein Schimpfwort klingt, wenn man sie als Talent bezeichnet. Bei Jaeger aber klingt es wie ein Versprechen. Auch Gorr weiß, dass seinem Spieler eine verheißungsvolle Zukunft bevorsteht. Er spricht deshalb ein paar Sätze hinter vorgehaltener Hand, wenn man ihn fragt, wohin Jaegers Weg führen könnte. Gorr will nicht zu laut sagen, welch großes Talent er in seinen Reihen hat, nicht, dass die anderen da draußen am Ende noch mitkriegen, dass es irgendwo in Oberfranken einen jungen Kerl gibt, der mal ein Großer werden könnte, wenn er ein bisschen älter ist. Gorr sagt also nur: "Er hat das Zeug, ein Erstliga-Spieler zu werden." Dann schickt er sicherheitshalber aber noch hinterher: "Dafür muss er sicher noch bestätigen, was er angedeutet hat." Eine Aussage, die auf die gesamte Coburger Mannschaft zutrifft.

Die ersten Wochen dieser Saison haben ja das gezeigt, was Gorr schon vor dem ersten Spiel vorhergesagt hat: dass die zweite Liga im Vergleich zu den Vorjahren noch ausgeglichener ist, noch offener, noch besser. Dass sein Team am zweiten Spieltag in Aue verloren hat, will Coburgs Trainer deshalb nicht als Ausrutscher werten, denn: "Man kann in dieser Liga vor keinem Spiel sagen: Es wird schon einigermaßen laufen, wenn wir unsere Leistung bringen."

Schon gar nicht, wenn der Gegner Gummersbach heißt, wie am Samstag. Für Jaeger wird das Duell besonders. Ihn wird ein merkwürdiges Gefühl beschleichen, wenn er seinem Heimatklub gegenübersteht. Doch Jaeger ist jetzt Coburger, das Kapitel Gummersbach, "das ist geschlossen", sagt er.

© SZ vom 10.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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