1860 München:Regierungserklärung mit Biss

Lesezeit: 3 min

Taktik, Kampfgeist, Spielerfrauen: Trainer Walter Schachner prüft alles bei 1860.

Gerald Kleffmann

Natürlich war Walter Schachner am Tag danach noch frustriert über seinen ersten ernsthaften Einsatz als Trainer des TSV 1860, beim 1:3 am Sonntag in Rostock habe seine Zweitliga-Mannschaft schließlich "Geschenke" verteilt und die sechste Saison-Niederlage fahrlässig verschuldet.

Schachner zeigt wo es lang geht. (Foto: Foto: dpa)

"Ja, des is' schon a bissl viel"

Doch allzu lange wollte der Österreicher nicht nachtarocken, lieber richtete er seinen Blick auf die nächsten Tage, an denen er ein wahrhaftiges Wunder vollbringen wird. Hätte der 48-Jährige einen dieser modernen Organizer, würde sich seine to-do-Liste so lesen: Niederlage gegen Hansa vier Stunden lang auf Video ansehen. Fehler analysieren. Stärken, falls erkennbar, notieren. Nächsten Gegner auf Video studieren. Zweikämpfe üben lassen. Predigten halten über Taktik und Einstellung. In Gruppen üben lassen. Die Besten herausfiltern. Startelf bilden. Eventuell neuen Kapitän suchen. Teamgeist fördern. Mit Mannschaft essen gehen, samt Spielerfrauen. Presse lesen, Meinungsklima in der Stadt sondieren. Nebenbei: Wohnung suchen.

Weniger hat sich Schachner für seine erste vollständige Arbeitswoche bei 1860 nicht vorgenommen.

Bemitleiden muss den tatenlustigen Trainer jedoch keiner, es besteht dringender Korrekturbedarf bei den Löwen, die vorerst weiter im Aufstiegskampf der Zweiten Liga schwächeln. "Ja, des is' schon a bissl viel", gestand Schachner ob der mannigfaltigen Aufgaben, die auf ihn, den erhofften Depressionserlöser, warten.

Aus welch unerschütterlichen Atomen der Neue besteht, offenbarte er gestern auf einer Pressekonferenz, abgehalten in der 1860-Geschäftsstelle. Dort hielt Schachner eine leidenschaftlich vorgetragene Regierungserklärung, gespickt mit Zielvorgaben, Weisheiten und phasenweise derart viel Biss und Schmäh, dass einem beim Zuhören schwindelig wurde.

Kapitän Lehmann nicht gesetzt

Nichts weniger als alles ist auf dem Prüfstand bei ihm, die Taktik, das Training, die Aufstellung, ja der Kader. "Wir haben jetzt neun Trainingseinheiten bis zum nächsten Spiel", rechnete Schachner akribisch vor, bis dahin wolle er herausfinden, "wer mitzieht und auf wen ich mich verlassen kann".

Das klang kritisch, und genau so sollte es rüberkommen. Denn: "Das bloße Wollen ist mir zu wenig", gab Schachner seine Philosophie scheibchenweise preis und ergänzte: "Das Wollen muss auch durch das Können abgesichert sein."

Klingt gut, aber ob der Trainer mit diesem hehren Anspruch bei 1860 glücklich werden wird? Es wollen ja alle, nur...1:3 in Rostock. Wer will da von Können reden?

Und trotzdem, Schachner glaubt an das Potenzial in der Mannschaft, wenngleich er es suchen muss. Der Kader sei schon sehr groß, bestätigte er, in Minigrüppchen wolle er nun üben lassen, um jeden einzelnen besser begutachten zu können.

Welche Kandidaten Chancen bei ihm hätten, definierte Schachner ohne Scheu - nämlich jene, "die sich für 1860 den Arsch aufreißen". Schon im Training könne man sich bei ihm empfehlen, durch "korrekten und fairen, aber aggressiven Einsatz", Entschuldigungen duldet Schachner nicht.

"Ich habe 27 Spieler, und wer ausfällt, fällt eben aus. Es muss matchbezogen trainiert werden." Gesetzt ist ab sofort niemand, nicht mal mehr der Kapitän.

Matthias Lehmann durchlebt gerade ein sportliches Tief, vieles gelingt dem 22-Jährigen nicht, "vielleicht drängt sich jemand für seine Position auf", verkündete Schachner, ohne persönlichen Groll. Denn genauso gut könne sich ja Lehmann bei ihm empfehlen, meinte er weiter, "meine Kritik kann auch Positives bewirken". Kann es, klar, zumal Schachner es nicht nur auf Kritik beruhen lassen will.

Zuerst werde trainiert, dass "die Fetzen fliegen", versicherte er, dann wolle er das 4-4-2-System lehren und sich nebenbei in Einzelgesprächen jeden Profi vorknöpfen, um deren Blockaden im Kopf zu bearbeiten. Nichts bleibt unversucht, sogar die Spielerfrauen will Schachner kennenlernen, am Donnerstag bei einem Abendessen. So prekär empfindet man die Lage bei 1860, dass nun Personen eingreifen, die gar nicht teilnehmen am Ligabetrieb.

Spätestens am 6. Februar wird der Trainer allerdings seinen ausgiebigen Tüv beenden müssen, die SpVgg Greuther Fürth ist dann in der Arena der nächste Gegner. Noch scheint Schachner nicht seinen Profis zu vertrauen, dass gleich beim nächsten Mal alles besser wird, selbst eine weitere Niederlage würde "nicht das Aus im Aufstiegskampf bedeuten".

Sprach's und verabschiedete sich gelassen, nicht ohne sein persönliches Ziel zu verraten: "Ich will in Deutschland beweisen, dass ich hier meine Philosophie durchbringen kann." Seit gestern weiß Fußball-München ziemlich klar, wie diese aussieht.

© SZ vom 31.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: