2:0 für den VfB:Jubel im Gewimmel

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Freuen sich über einen Auswärtssieg im Max-Morlock-Stadion: Stuttgarts Trainer Markus Weinzierl innig mit dem Deckeldraufmacher Erik Thommy. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Trainer Markus Weinzierl bleibt nach seinem ersten Sieg im vierten Spiel ein historisch schlechter Start als VfB-Trainer erspart. Seine Stuttgarter machen in Nürnberg einen typischen Fehler nicht mehr.

Von Anna Dreher, Nürnberg

Timo Baumgartl wird sich schon oft ausgemalt haben, wie es denn so aussehen würde, sein erstes Bundesligator. Vielleicht ein Elfmeter? Oder ein Fallrückzieher? Mit links, rechts, oder dem Kopf? Baumgartl hat lange Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen. In seinen bisher 78 Bundesligaspielen sind 6701 Minuten vergangen - und dazwischen blieb ja auch jede Menge Zeit zum Träumen. Und als es dann tatsächlich so weit war im Leben des 22 Jahre alten Fußballprofis des VfB Stuttgart, war er selbst etwas überrascht.

Im Spiel beim 1. FC Nürnberg, dessen Stadion erstmals in dieser Saison bis auf den letzten Platz gefüllt war, waren gerade 68 Minuten gespielt. Baumgartl hatte beobachtet, wie der Ball nach einem Eckball von Dennis Aogo bei Nürnbergs Robert Bauer landete, der ungewollt zum Vorlagengeber für Baumgartl wurde. Auf einmal war der Ball bei ihm - und kurz danach wusste der Verteidiger endlich, wie er aussah, sein erster Bundesligatreffer: Halb im Fallen drosch Baumgartl den Ball durch das Gewirr aus Mit- und Gegenspielern zur Führung ins Tor und löste ein Beben beim Stuttgarter Anhang aus. Nach einer bis Samstag ernüchternden Bilanz von 0:11 Toren aus den vergangenen drei Spielen unter dem neuen Trainer Markus Weinzierl waren die Ansprüche des Tabellenletzten vor diesem 2:0 (0:0) in Nürnberg ja deutlich gesunken.

Bis Weihnachten gehe es vor allem darum, möglichst viele Punkte zu sammeln, hatte Sportvorstand Michael Reschke zuletzt gesagt. Von Siegen wurde in Bad Cannstatt höchstens hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Und dann, endlich, dieser Treffer von Baumgartl und der erste Sieg für den schwäbischen Bundesligisten seit Ende September gegen Werder Bremen. "Ich konnte es selbst nicht fassen, dass der reingegangen ist", sagte Baumgartl später. "Ich wurde ja schon von meinen Kollegen aufgezogen, dass ich bald der Spieler mit den meisten Bundesligaspielen ohne Tor sein werde." Diese Kategorie wird er nun nicht mehr gewinnen. Aber da liegt Dennis Diekmeier (18 202 Minuten) ohnehin sehr weit vorne.

Trainer Markus Weinzierl bleibt ein historisch schlechter Start erspart

Der typische und beim VfB nicht undenkbare Fehler wäre es nun gewesen, euphorisiert angesichts dieses tatsächlich auf der Ergebnistafel aufleuchtenden Tores die verbleibenden Minuten unkonzentriert zu agieren und am Ende doch wieder enttäuscht in den Mannschaftsbus zu steigen. Aber statt diesen Fehler zu begehen, zeigten sich die Stuttgarter von einer beinahe vergessenen Seite: Sie schossen noch ein Tor. Nach einer Ecke von Aogo kam der Ball aus dem Strafraumgewimmel zum kurz zuvor eingewechselten Erik Thommy, der nicht lange zögerte, sondern entschlossen zum Endergebnis abzog (82.). "Wir sind sehr erleichtert, dass wir diesen Sieg geholt haben. Das war heute sehr, sehr wichtig für uns, weil wir eine sehr schwere Phase hatten", sagte Weinzierl. "Man hat gemerkt, dass wir nicht vor Stabilität strotzen, aber wir haben uns rein gekämpft und ein ordentliches Spiel gemacht."

Nachdem ihm der in der Bundesliga historisch schlechte Start mit vier Niederlagen durch den ersten Auswärtssieg dieser Saison erspart geblieben war, erzählte Weinzierl, dass er sich viele Gedanken vor dieser Partie gemacht hatte. Darüber, was wohl das Beste sei in dieser Situation. Und er entschloss sich schließlich dazu, auf eine Viererkette umzustellen, die gut ohne den zuletzt gegen Frankfurt so unsicher und seit Mittwoch nach einer im Training zugezogenen Wadenverletzung fehlenden Holger Badstuber auskam. Die Viererkette aus Marc-Oliver Kempf, Benjamin Pavard, Baumgartl und Andreas Beck brachte jene defensive Stabilität zurück, die auch der Offensive gut tat. Stuttgart spielte kämpferischer und mit mehr Übersicht. Auch ohne den verletzten Anastasios Donis bekam der VfB Tempo rein, und auch ohne den zumindest wieder im Kader stehenden Daniel Didavi waren kreative Ansätze zu sehen in einer spielerisch insgesamt allerdings eher mäßigen Partie.

Ebenfalls zu sehen waren vergebene Chancen. Die wohl größte vergab Stürmer Mario Gomez, der aus kurzer Distanz freistehend am Tor vorbeischoss (39.) und schon früher für den lang ersehnten Auftakt zum Befreiungsschlag hätte sorgen können. Hilfreich war da nur, dass Nürnberg sich zu viele Fehler leistete, seine Chancen ebenso ungenutzt ließ und nicht über ein furioses Sturmtrio bestehend aus Luka Jovic, Ante Rebic und Sebastian Haller verfügt, mit dem Frankfurt den VfB vor einer Woche geradezu zerlegt hatte. "Wir haben in den letzten Wochen ziemlich auf die Fresse bekommen", sagte Christian Gentner. "Der Druck war nach den katastrophalen Ergebnissen sehr groß heute. Aber die Mannschaft lebt."

Stuttgarts Kapitän hatte eine Wette mit Baumgartl am Laufen, erzählte der Torschütze später. Wie viele Kopfballtore er gegen Nürnberg wohl machen würde. Die Wette hatte er also verloren. Aber das war Timo Baumgartl an diesem Tag dann doch sehr egal.

© SZ vom 11.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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