Mein Deutschland:Zweites Geständnis

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Polens Veto beim Umweltgipfel verursacht keine große Aufregung.

Angnieszka Kowaluk

In den vergangenen Tagen verfolgte ich besonders aufmerksam die deutschen Nachrichten. Ich wollte feststellen, welche deutschen Zeitungen in welchem Ausmaß über mein Land herziehen würden. Denn vergangene Woche hatte Polen auf dem Umweltgipfel in Brüssel als einziges Land sein Veto gegen die zusätzlich geplanten CO 2 -Sparziele eingelegt. In Polen selbst hatte das Veto große Aufregung verursacht. Aber schließlich heißt diese Kolumne nicht "Mein Polen".

Beim Umweltgipfel in Brüssel hat sich Polen am 9. März 2012 als einziges Land gegen die europäischen CO2-Sparziele ausgesprochen. (Foto: dpa)

Und hier blieb es zum Glück verhältnismäßig ruhig. Ich muss also nicht über Kohle-Energie (auf die sich Polens Wirtschaft stützt) vs. Atom-Energie vs. andere Energieformen fachsimpeln und darüber befinden, welche für mein Land und für die Welt besser wäre. Ich muss nicht dem Gedanken nachgehen, dass Deutsche überall mit dem Auto hinfahren (selbst die Grünen seien eine Partei der Autofahrer, hieß es neulich), um die Wette um die Welt fliegen und dennoch gerne die Klima-Apostel mimen. Oder Atomenergie erzeugen, gegen die sie demnächst - mangels eigener Meiler im Betrieb - in Polen werden demonstrieren müssen. Was für eine Erleichterung: Ich muss auch nicht an die ökologisch umstrittene Gas-Pipeline erinnern, die von Russland aus in einem nicht allzu großen Bogen an Polen vorbei unter der Ostsee nach Deutschland führt.

Weder muss ich Asche auf mein Haupt streuen wegen Polens vermeintlich rückständiger Klimapolitik, noch darauf aufmerksam machen, dass es seit 1990 unter größter Anstrengung seinen CO 2 -Ausstoß bereits enorm reduziert hat. Ich brauche mich auch nicht über die wirtschaftlichen Argumente für das Veto auszulassen. Und auch das leidige Thema der hässlichen Windräder kann ich links liegen lassen. Mutmaßungen darüber, wie viele der Produkte in europäischen Läden im fernen Asien hergestellt werden, wobei Emissionen entstehen, die zu senken die EU dann nicht mehr nötig hat, sind auch nicht nötig.

Lieber lege ich gleich ein zweites Geständnis ab, denn ich schaue mitten am Tag fern, wenn auch natürlich aus rein journalistischem Interesse. Bei den TV-Kochshows fällt mir auf: Die Deutschen haben ein sehr gesundes Verhältnis zu ihrer Küche. Obwohl sie schrecklich viel reisen (Klima! Emissionen!) und schon alle Speisen der Welt probiert haben, sind sie Meister in der Zubereitung ihrer eigenen herkömmlichen Gerichte. Dagegen findet man in mancher polnischen Stadt nur schwer Restaurants mit guter regionaler Küche. In Polen wurde die Kontinuität der Koch- und Ausgehkultur über Jahrzehnte durch den Krieg, die Lebensmittelknappheit der Planwirtschaft und die harte Wirtschaftskrise der 80er Jahre unterbrochen. Derzeit versuchen junge talentierte Köche, sie wiederherzustellen, indem sie traditionelle, doch modernisierte polnische Küche propagieren. Das "Essenorganisieren" in den Krisen führte zur Entwicklung einer kulinarischen Kreativität, einem Umgang mit Ressourcen, die heute langsam wieder die polnische Küche prägen.

Deutschland hat die "Heiße-Tasse"-und-Fertig-Pommes-Phase zum Teil überwunden und die Kultur der Wochenmärkte beibehalten. Auch Polen besinnt sich wieder mehr auf Steckrüben statt auf Sushi. Nicht auszuschließen, dass dasselbe mit Polens Kohlengruben passiert: Modernisierung des Traditionellen und Förderung des Lokalen. Aber darüber muss ich zum Glück nicht schreiben.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Agnieszka Kowaluk ist Journalistin und Literatur-Übersetzerin. Sie berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 17./18.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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