Mein Deutschland:Zerplatzte Träume

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Ein junger Karrierepolitiker versucht die Nation zu inspirieren. Viel Lob von David Cameron für Angela Merkel.

Kate Connolly

Die Sommerzeit eignet sich für Träume, und Deutschland hatte einige davon, obwohl der Juli erst ein paar Tage alt ist. Ein Wahlkampf und ein Fußball-Marathon haben das Land in Atem gehalten, auch wenn die Ergebnisse anders ausgefallen sind als die meisten Menschen es sich gewünscht hätten.

Bundeskanzlerin Merkel und Englands Premier Cameron verfolgen das WM-Spiel während des G20-Gipfels in Toronto, Kanada, gemeinsam das Achtelfinale. Deutschland besiegte England mit 4:1. (Foto: dpa)

Ich gestehe, dass Joachim Gauck mein Favorit als Bundespräsident war. Er schien ein Traumkandidat zu sein, als er auftauchte, um das von Horst Köhler fluchtartig verlassene Schloss Bellevue zu bewohnen. Allein von seinem Lebenslauf her möchte man zu ihm aufschauen: Dieser Mann hat das Ideal von Freiheit durch sein eigenes, hartes Leben in der DDR gelernt, sie haben seine Persönlichkeit geformt. Die Erfahrung, den eigenen Vater zu sehen, wie der vom Abendbrottisch weggezerrt und jahrelang in Sibirien eingesperrt wird, haben seinen Sinn für Ungerechtigkeiten geschärft und ihn zu einem Gegner des SED-Regimes gemacht. Als eloquenter, charmanter und intelligenter Mann mit einer seltenen rhetorischen Begabung hätte Gauck mit Sicherheit das Präsidentenamt belebt. Und er wäre zugleich eine Integrationsfigur für das Land gewesen und hätte vielen desillusionierten Ostdeutschen, die sich vom demokratischen Prozess abgeschnitten fühlen, eine neue Perspektive gegeben. Leider hat stattdessen ein verhältnismäßig junger Karrierepolitiker mit einer Vorliebe für graue Anzüge den Job bekommen. Ich bin sicher, dass Christian Wulff auf seine Art erfolgreich sein wird - aber hat er das Zeug, die Nation zu inspirieren? Ich glaube nicht.

Der zerplatzte Traum der Fußball-Weltmeisterschaft ist nicht weniger enttäuschend. Doch zumindest gibt die Leistung dieses Teams Anlass zum Feiern und auch zu Stolz. Sie ist die jüngste Mannschaft in Jahrzehnten und die ethnisch vielfältigste: Man darf hoffen, dass sie beispielhaft für andere Bereiche einer Gesellschaft wird, die oft genug noch die Nase über die Jugend und die Ausländer rümpft. Es hat mich berührt, dass britische Fans - als sie vor dem Match zwischen Deutschland und Spanien gefragt wurden, welche Mannschaft sie unterstützen - sagten, sie würden deutsche Team anfeuern. Ein Beweis dafür, dass die Verachtung der britischen Boulevardpresse für Deutschland nur ein Trick ist, um die Auflage zu steigern und nicht ein nationales Gefühl im Königreich. Immerhin haben die Briten vergangene Woche auch ihre überbezahlte und schlecht spielende Mannschaft mit Buhs empfangen. Der Nationalstolz hat eine gehörige Delle bekommen, wie auch in Frankreich und Italien. Und die Menschen erkennen, dass es auch echte Teams gibt wie das deutsche. David Cameron übrigens, der neben Angela Merkel das Spiel Deutschland-England anschaute, sprach von einer demütigenden Erfahrung. Für Merkel aber hatte er nur Lob übrig, er soll sie als einen der höflichsten Menschen bezeichnet haben, den er jemals getroffen hat. Jedes Mal, wenn die Deutschen wieder einen Ball ins Tor manövriert hatten, soll sie ihm gesagt haben: "Es tut mir wirklich leid." Auch das ist ein Plus-Punkt: Diese WM war gut für die deutsch-britischen Beziehungen.

Anders als mein Traum Gauck, der vermutlich nicht mehr Bundespräsident werden wird, lebt der Traum des deutschen Fußballs weiter. Diese Spieler sind jung genug, um sich noch einmal beweisen zu können. Ein amerikanischer Freund, der besonders beeindruckt vom Spiel der Deutschen war, schickte mir eine SMS mit den Worten: Sie haben noch 2014. Auf zur nächsten WM!

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 09.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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