Mein Deutschland:Zebrastreifen aus Vancouver

Lesezeit: 1 min

Ein kleines Mädchen fährt in Freiburg mit dem Roller über einen Zebrastreifen zur Schule. (Foto: dpa)

Höfliche Autofahrer in Kanada und Deutschland

John Lambert

Mehr als die Bedenken beim Verkehrsgerichtstag in Goslar, ob es sinnvoll ist, das 18-Punkte-System aufzugeben, interessierte mich die Empfehlung: "Zur Entwicklung einer nachhaltigen Verkehrskultur sind kommunikative, edukative und rehabilitative Maßnahmen zur Sensibilisierung von Verkehrsteilnehmern für die Problematik aggressiver Verhaltensweisen im Straßenverkehr unverzichtbar." Nur dachte ich: welche?

Eine Vorliebe für das Thema habe ich nicht nur, weil ich zwei Führerscheine besitze. Ich komme aus Vancouver, einer Stadt, deren Fahrern nachgesagt wird, die höflichsten Kanadas zu sein. Mit diesem Ruf bin ich groß geworden, damit habe ich in Berlin angefangen, meine Kinder zur Schule zu bringen. Der Weg ist nicht weit, dafür glaubt man sich manchmal auf einer Etappe der Rallye Dakar.

Wenn man den Mut aufbringt, die Strecke zu fahren - und das bei vorgegebenem Tempo 30 -, erntet man oft Huptöne, Ungeduld, Stress, Hass. Von Fahrern, die so dicht auffahren, dass man glaubte, sie sitzen neben den Kindern auf der Rückbank. Um gerecht zu sein: Mir zeigen entgegenfahrende Fahrer stets Wohlwollen. Auf schmalen Straßen fahren sie zur Seite, an Kreuzungen geben sie ein Zeichen, dass ich abbiegen kann - und winken. So gewinnt man Einblick in den Zwiespalt des deutschen Fahrers.

Sehr überrascht war ich also nicht, als mir - diesmal als Fußgänger - ein Auto den Weg auf dem Zebrastreifen abschnitt. Mit Blick auf die Goslarer Empfehlung sagte ich: "Sie sollten doch ein wenig mehr Rücksicht zeigen!" Ernsten Blickes erwiderte er: "Sie aber auch!" Es stimmte: Die Fußgängerampel war rot, eigenhändig hielt ich den Verkehr auf. Also nickten wir uns höflich zu und gingen auseinander. Von wegen Goslar: Man glaubt sich regelrecht in Vancouver!

Der Kanadier John Lambert ist Final Editor der englischen iPad-Ausgabe des Monopol Magazins. Er lebt in Berlin.

© SZ vom 16./17.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: