Mein Deutschland:Wie ticken Briten und Deutsche?

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In England gibt es ungeschriebene Regeln. Deutschland ist lieber regelungswütig.

Kate Connolly

Das Land kennenzulernen, das man "adoptiert" hat, ist wie eine unendliche Geschichte. Ich habe zum Beispiel Jahre dafür gebraucht herauszufinden, wie ich hier meinen Müll richtig trenne. Und wenn ich in ein klassisches Konzert gehe, kann ich immer noch nicht umhin festzustellen, dass deutsche Konzertbesucher, wenn sie sich in den Sitzreihen aneinander vorbeiquetschen, die bereits Sitzenden anschauen, wohingegen Engländer - so auch ich - ihnen den Rücken zudrehen würden. Deutsche, wurde mir gesagt, fänden das unhöflich - während Engländer die deutsche Art als zu intim empfinden.

Die Flaggen Großbritanniens und Deutschlands. (Foto: dpa)

Lustigerweise hat ein Kollege von mir jüngst ein Buch geschrieben über seine genau gegenteiligen Erfahrungen - ein Deutscher, der jahrelang in Großbritannien gelebt hat. Philip Oltermanns "Keeping Up with the Germans", das gerade übersetzt wird, sind sehr humorvolle Reflexionen darüber, wie Deutsche und Briten ticken und welche Aspekte im Anderen sie niemals wirklich verstehen werden - aber auch darüber, inwieweit wir uns ähneln. Seine Geschichte beginnt mit dem Moment, als die Eltern ihn, 16-jährig, beim Fußball-Europameisterschafts-Halbfinalspiel England gegen Deutschland 1996 damit schocken, dass sie von Hamburg nach Großbritannien ziehen werden. Dem folgt ein Bericht über seine Abenteuer in "UK", sein Zusammentreffen mit der Sprache, den britischen Humor und den Fragen der Briten wegen seiner Herkunft. Dabei habe er festgestellt, dass er von den Briten - im Gegensatz zu der deutschen Auffassung, dass Deutsche in Großbritannien nicht gemocht werden - deswegen niemals in die Ecke gestellt worden sei. Vielmehr seien sie neugierig gewesen und hätten ihn alles Mögliche gefragt - von Marzipan bis Berti Vogts.

Oltermann lernte sehr schnell, dass Erfolg in jeder Art von Ballspielen eine Möglichkeit war, sich als netter Schulkamerad zu profilieren, und dass eine der vielen ungeschriebenen "Regeln" in Großbritannien lautet: Wenn man in einer Sache wirklich gut ist, sagt man, dass man sie gar nicht beherrscht. Seine Cleverness zur Schau zu stellen, so fand er heraus, ist in "UK" ein Tabu und Understatement eine Obsession. Nicht fehlen darf bei ihm auch die Geschichte mit der Toilette, als wahrscheinlich beste Metapher für den Grad der Anpassung an den deutschen oder englischen "Way of life". Als Oltermann erstmals eine englische Toilette benutzte, war er schockiert. Er vergleicht es mit einer Nervenkrankheit, die einen befällt: Plötzlich fühlten sich die grundlegenden Dinge völlig fremd an - statt Lichtschalter eine Schnur, die von der Decke baumelt, keine Steckdosen, der Boden bisweilen ausgelegt mit Teppichen, und ein Spülsystem, das die Hingabe und das rhythmische Einfühlungsvermögen erfordert, das zum Starten eines Oldtimer-Motors benötigt wird. Für uns Briten dagegen liegt der Schock einer deutschen Toilette vor allem in der Gelegenheit, seine Hinterlassenschaften anschauen zu können - ob man nun will oder nicht. Und die Wasserspartaste ist so etwas wie ein futuristisches Wunder.

Es ist nicht immer der Fall, dass Briten und Deutsche zusammenfinden. Für die meisten Deutschen bleibt es völlig unverständlich, warum "Dinner for One", für sie eine britische Komödie, wie sie im Buche steht, in Großbritannien gänzlich unbekannt ist. Während ein Brite oft fragt, warum Deutschland so regelungswütig sei - ohne zu realisieren, dass die Briten durch ungeschriebene Regeln der Klassenzugehörigkeit und des sozialen Dialogs viel stärker gebunden sind.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten jeden Samstag über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 05./06.05.12 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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