Mein Deutschland:Wer ist der beliebteste Franzose?

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Die "Top-Promis" in Frankreich werden von Tennisspieler und Sänger Yannick Noah angeführt.

Pascale Hugues

In meiner Jugend nannte man sie maîtres à penser , geistige Vorbilder. Integre, mutige Persönlichkeiten, deren Haltung und Engagement wir bewunderten. Sie dienten uns als Richtschnur. Unsere maîtres à penser waren, bunt gemischt, Boris Vian, Gandhi, der Philosoph Camus, der Widerstandskämpfer Jean Moulin. Ein bisschen prätentiös, aber es hatte Sinn.

Simone Veil, die ehemalige Präsidentin des Europäischen Parlamentes, ist auf Platz 21 der französischen Top-Promis-Liste. Die 1927 in Nizza geborene Juristin hat sich, als Überlebende des Holocaust, für die Aussöhnung zwischen Franzosen und Deutschen eingesetzt. (Foto: AFP)

Heute spricht man von den "Top-Promis". In Frankreich wird die Hitliste 2010 zum siebten Mal von dem Tennisspieler und Sänger Yannick Noah angeführt. Er war Champion der French Open im Jahr ...1983! Knapp gefolgt von Zinédine Zidane (trotz seines legendären Kopfstoßes und vielleicht, weil er nicht am Debakel der französischen Equipe in Südafrika beteiligt war). Diesen beiden folgt ein ganzer Schwarm von Sportlern, Filmstars, Schnulzensängern, Comedians. . . kein Philosoph, kein Menschrechtler und vor allem kein Politiker. Erst auf Platz 21 erscheint eine Persönlichkeit aus der Politik, übrigens eine Frau: Simone Veil.

Diese in ihrer Bescheidenheit traurige Aufzählung ist aber nicht typisch französisch. Sehen Sie sich die deutschen Charts an. Günther Jauch ist die beliebteste Figur des öffentlichen Lebens. Lange vor dem Papst. Lange vor Günter Grass. Ein großer Unterschied zu meinem Land liegt aber darin, dass die Politiker bei den Deutschen nicht in Ungnade gefallen sind. Dicht auf Jauch folgen Helmut Schmidt, dann Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg. Selbst Angela Merkel ist mit von der Partie!

Ich will hier nicht die Spaßbremse spielen. Schließlich liegt es in der Entscheidung jedes Einzelnen, wen er bewundern will. Die Liebe folgt ihren eigenen rätselhaften Gesetzen. Nur eine kleine Anmerkung, mit der diese Sympathiewellen relativiert und mit der vor der Unstetigkeit des Herzens gewarnt werden soll. Im Jahr 2006 war der beliebteste Franzose. . . Sie werden es nicht glauben: Nicolas Sarkozy. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Franzosen ihrem Präsidenten vier Jahre später nicht mal einen Platz unter den ersten fünfzig gönnen.

Während Jacques Chirac es immerhin auf Rang 41 geschafft hat. Und was haben die Franzosen 2006 an Nicolas Sarkozy so sehr bewundert? "Er ist begabt, tatkräftig, voll Energie. Brillant, ein guter Redner, intelligent und entschlossen." Die Franzosen schätzten seine "Geradheit", seine "Dynamik". "Er will Frankreich in Bewegung bringen!" Und was hörte man in diesem Sommer beim Aperitif auf den Caféterrassen der französischen Provinz? Dass Sarko stottert, dass er seine Sätze mit Slangausdrücken spickt und die Sprache nicht fehlerfrei spricht, dass sein manischer Aktivismus nervt, dass er eine Null ist, dass die Affäre Bettencourt stinkt (64 Prozent aller Franzosen sind überzeugt, dass ihre politische Klasse korrupt ist) und dass Sarko, seit er an der Macht ist, nicht das Geringste verändert hat. Die Liebe ist launisch, der Wind in der Gegend des Herzens kann unversehens die Richtung wechseln. Also meine Damen und Herren in den TOP 50, seien Sie auf der Hut!

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 28./29.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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