Mein Deutschland:Wenn alles im Schnee versinkt

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Warum nicht wie in Sibirien damit umgehen.

Kate Connolly

Jeder der in den vergangenen Wochen eine britische Zeitung in die Hand genommen hat, könnte den Eindruck gewonnen haben, dass wir uns plötzlich wieder im Krieg befinden. Diesen Lesern möge verziehen sein. Seit das Land, wie viele andere in Europa, unter einer weißen Schneedecke verschwunden ist, häufen sich die Berichte, in denen wieder vom "Blitz Spirit" die Rede ist. Ein Begriff, der auf die kollektive Stimmung im Volk während des Zweiten Weltkriegs anspielt, als die Briten mit stoischem Mut der deutschen Luftwaffe widerstanden, als diese das Land zur Unterwerfung bomben wollte.

Ein kleiner Schneemann steht an einem Gleis am Bahnhof vom Düsseldorfer Flughafen. Der Winter fordert von Pendlern und Reisenden weiter viel Geduld: Schneefälle legen Flughäfen lahm, spiegelglatte Straßen behindern den Verkehr, viele Züge haben Verspätung. (Foto: dpa)

Tatsächlich: die Briten haben in den vergangenen Wochen ihren Gemeinschaftssinn wieder entdeckt. Liegengebliebene Autofahrer teilten Kekse, in steckengebliebenen Zügen wurde Tee herumgereicht. Etwas vom "Spirit" aus früheren Zeiten - an die sich die meisten Briten nicht erinnern können, weil sie zu jung sind - ist in den vergangenen Wochen wieder lebendig geworden. Doch ein wichtiges Element fehlte. Während des Krieges wussten die Leute, dass es nicht hilft, in Hysterie oder Wahnsinn zu verfallen. Denn das wäre einer Kapitulation gleich gekommen.

Aber genau das ist passiert, als die britischen Flughäfen angesichts der Schneemassen schließen mussten, Weihnachtspäckchen nicht ausgeliefert wurden und viele Menschen an den Feiertagen nicht nach Hause fahren konnten. "Warum können wir damit nicht umgehen wie Sibirien und uns auf solche Verhältnissen vorbereiten", fragte die Daily Mail . Vielleicht deshalb, weil solch harte Winter in Großbritannien äußerst selten sind? Ich kann mich nur sehr vage an ein oder zwei weiße Weihnachtsfeste erinnern. Schließlich hat Irving Berlin nicht umsonst das Lied 'I'm Dreaming of a White Christmas' geschrieben. Das hätte er sicher nicht getan, wenn Schnee an Weihnachten etwas völlig Normales wäre.

Ein nationales Blatt war sogar so beschämt darüber, dass wir Briten nicht mit Schnee umgehen können, dass es auf der ersten Seiten ein Bild mit der eingeschneiten Statue von Winston Churchill zeigte, unter der Überschrift: "Not our Finest Hour" - nicht unsere beste Stunde - auch das eine Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg.

In Deutschland werde ich oft gefragt, warum die Briten immer alles mit den Kriegszeiten in Verbindung bringen. Vielleicht deshalb, weil dies das letzte wirklich packende Ereignis - wenngleich auch grauenvoll - in der Geschichte unseres Landes war. Wie viele Gelegenheiten hatten wir seitdem, unsere Kekse auf der Autobahn zu teilen?

Die derzeitige Stimmung hat vermutlich auch damit zu tun, dass England sich selbst bedauert. Die Staatsfinanzen befinden sich in einem desaströsen Zustand, und es stehen harte Einschnitte bevor, von denen es heißt, es seien die "tiefsten seit dem Zweiten Weltkrieg".

Als meine Eltern vor einigen Wochen zu Besuch kamen, kreiste ihr Flugzeug einige Zeit über dem Berliner Flughafen Tegel bevor es nach Schönefeld umgeleitet wurde. Doch auch der wurde geschlossen und das Flugzeug nach Hannover geschickt. Ich bat meine Eltern, dort in einen Zug nach Berlin zu steigen, der allerdings nur sehr langsam vorwärts kam wegen des Schnees. Als sie dann viele Stunden später als geplant endlich ankamen, sprühten sie vor Begeisterung über das Abenteuer, das sie gerade erlebt hatten, von Reisestress keine Spur. Die Schadenfreude in den Augen meines Vaters war nicht zu übersehen. Er sei erfreut zu sehen, dass die Briten nicht die einzigen seien, die nicht mit solchem Wetter umgehen können. Sein Tag und der Ruf seines Landes schien damit gerettet.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 31.12.2010/1./2.1.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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