Mein Deutschland:Was ist los im Land des Lächelns?

Lesezeit: 2 min

Die Chinesen sind für ihre Gastfreundlichkeit bekannt, doch alles lassen sie sich auch nicht gefallen.

Shi Ming

Manchmal rächt sich Freundlichkeit. Das Gleiche gilt für Gastfreundlichkeit. Dann, wenn diese mit menschlichen, allzu menschlichen Hintergedanken des Eigennutzes verbunden sind. Chinesen gelten als "freundlich", auch als "gastfreundlich", in erster Linie bei weißen Abendländern, wenn sie sich in China aufhalten: europäische und amerikanische Touristen, Geschäftsleute, Architekten oder Professoren. Es sind allesamt Menschen, von denen man etwas will. Machen wir uns nichts vor: Das meiste, was man in China von den Langnasen will, hat mit Geld zu tun, entweder das Bare, wenn man etwas zu verkaufen hat. Oder es sind fortgeschrittene Technologien oder Verfahren, die man schnell und nachhaltig in Bares ummünzen kann.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)  und der Generalkonsul der Volksrepublik China, Huiqun Yang (rechts), wurden am 12. Juni 2012 im Gästehaus des Senats in Hamburg von Chinesischen Drachen empfangen. (Foto: dpa)

Jüngst aber gab es Meldungen unter Berufung auf chinesische Quellen, dass in Peking und anderen Großstädten Chinas Ausländern, verstärkt auch weißen Abendländern, zugesetzt wird. In Peking wurde ein Engländer, der chinesische Frauen belästigt haben soll, auf offener Straße vermöbelt. In Xi'an passierte dies einem dunkelhäutigen Amerikaner, als dieser offenbar eine ältere chinesische Dame barsch anherrschte. Auch wollen Chinas Behörden gegen Langnasen vorgehen, die illegal eingereist sind, sich in China illegal aufhalten oder dort illegal arbeiten. Dazu werden ganze Straßenkomitees von Freiwilligen mobilisiert.

Zu Recht fragt man: Was ist los im Land des Lächelns? Damit man es nicht falsch versteht: Illegalitäten gilt es zu bekämpfen. Überall. Aber dass es nun plötzlich überall in China Illegalitäten bei Abendländern geradezu kampagnenmäßig zu bekämpfen gilt, legt den Verdacht nahe, dass Chinas Regentschaft lange Zeit beide Augen vor alldem zugedrückt hat, was heute als illegal gilt. Vor Kurzem erzählten mir deutsche Freunde, wie sie als junge Studierende mit einem Bahnsteigticket in chinesischen Zügen mit Hilfe chinesischer Bahnbeamter Tickets für Schlafwaggons ergattern konnten, oft unter den gültigen Listenpreisen. Selbstverständlich gilt auch: Wer Frauen belästigt, muss mit Konsequenzen rechnen - korrekterweise vor Gericht. Aber gab und gibt es nicht Vermittlungsagenturen in China, die weißen Langnasen allerlei Begleitdamen feilgeboten haben und immer noch feilbieten - und das quasi legal?

Jenseits aller zu klärenden Legalität und moralischer Ermahnung eines jeden Gastes gilt auch, dass die Heuchelei mit verkaufsfördernder Freundlichkeit bei allen Pflichtlächlern gerade im Gastgeberland Kompensationsbedarf hervorruft. Zum Beispiel wenn die gewünschte Wirkung im Tausch gegen angebotene Güte nachlässt, gar ausbleibt. Oder wenn es nicht mehr opportun ist, sich mit überschwänglicher Gastfreundlichkeit Vorteile zu verschaffen. Dann rächt sich die falsche Freundlichkeit schnell. Und: Kriselt es nicht im Abendland gewaltig? Lässt nicht überall die Nachfrage nach chinesischen Waren nach?

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Shi Ming arbeitet als Freier Journalist und Publizist.

© SZ vom 16./17.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: