Mein Deutschland:Vorurteile leben oft lang

Lesezeit: 2 min

Es gibt auch Badezimmer-Katastrophen in Deutschland.

Kate Connolly

Mit großem Vergnügen möchte ich heute die langlebigsten Vorurteile über das Leben in Großbritannien beerdigen. Viele glauben ja, London sei meistens in Nebel gehüllt, die Geschäftsleute trügen alle Melonen auf dem Kopf und die britische Küche sei nicht die beste. Ich bin froh, sagen zu können, dass diese Annahmen eher in alte Filme und Bücher gehören, als in die Realität. Saubere Fabriken haben dafür gesorgt, dass der Nebel nur noch durch Charles Dickens Büchern wabert, während Jamie Oliver es gemeinsam mit der Globalisierung geschafft hat, dass unsere Küche im Allgemeinen nicht mehr so grässlich ist, wie sie einmal war. Die Melone hingegen gehört - so wie der Reifrock und der Frack - der Vergangenheit an, einfach weil sie in unserer modernen Welt unpraktisch ist.

Jamie Oliver trägt dazu bei, dass die englische Küche nicht mehr so grässlich ist. (Foto: dpa)

Ein Klischee allerdings, das sich bis heute zu Recht gehalten hat, ist das der armseligen Klempnerarbeiten. Gerade verbringe ich meinen Urlaub im schönen England. Als wir nach unserer Ankunft ein paar Tage in der Ein-Zimmer-Wohnung einer Freundin im Südosten Londons verbrachten, stellte sich schnell heraus, dass uns weder Toilette noch Dusche gewachsen war. Das Resultat war eine verstopfte Toilette und ein tropfender Duschkopf. Drüben im Nordwesten Londons besuchten wir daraufhin ein befreundetes Paar aus Berlin, das auf einem einjährigen Austausch in der Stadt ist. "Kommt niemals auf die Idee, eine Wohnung zu mieten, ohne den Wasserdruck zu überprüfen", konnten sie uns raten. Um mit dem Schimmel fertig zu werden, der an ihren Wänden hochkriecht - offenbar ein üblicher Bestandteil britischer Bäder - hatten sie ihn kurz vor unserem Besuch mit Chlor eingesprüht. Das ganze Haus roch wie ein gründlich desinfiziertes Schwimmbecken. In Brighton hielt ich einmal bei laufendem Wasser plötzlich den altertümlichen Messing-Wasserhahn in der Hand. Als der herbeigerufene Klempner das archaische Leitungssystem freigelegt hatte, war sein Rat an mich, den Wasserhahn doch in Zukunft sanfter zu betätigen.

Mit diesen Zeilen laufe ich Gefahr, meine Familie und Freunde zu verärgern, die es immer sehr persönlich nehmen, wenn sie das Gefühl haben, ich würde auch nur einen Aspekt des britischen Lebens kritisieren. Als ich meinen Eltern von meinen Klempner-Erlebnissen erzählte, bemerkten sie: "Wir waren auch schon in einigen Badezimmer-Katastrophen in Deutschland. Erinnerst Du Dich an die defekte Dusche in der ostberliner Pension Anfang der Neunziger? Oder wie es am Fernsehturm am Alexanderplatz nach Abwasser gestunken hat?" Der Vergleich zwischen dem bankrotten Ostdeutschland und viktorianischen Klempnerarbeiten ist in der Tat ein passender.

Was mich nach vielen Jahren im Ausland am meisten erstaunt, ist die stoische Haltung meiner Landsleute gegenüber ihren anfälligen Badezimmern. Es scheint fast, als würden sie es genießen, Besuchern gleich nach der Begrüßung mitzuteilen, was im Bad zu beachten ist. Ich gebe es zu, ich vermisse die deutschen Badezimmer - mit einer Ausnahme: Ebenso wenig, wie das Drängeln auf der Autobahn, fehlt mir, was Erica Jong in ihrem Bestseller Angst vorm Fliegen einmal als den Schrecken der deutschen Stufen-Toilette bezeichnet hat. Den Vorteil der Plattform in deutschen Toiletten werde ich wohl nie verstehen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 13.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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