Mein Deutschland:Viel Verantwortung

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Das Land mit der Macht, Europa zu retten.

Kate Connolly

Es fing an mit der Nachricht über Saltwood Castle im englischen Bezirk Kent, dessen Bombardierung Hermann Göring der Deutschen Luftwaffe verboten hatte - weil er sich nach dem Krieg dort häuslich niederlassen wollte. Dann kam ein Radiointerview über die jüngste Eva-Braun-Biographie. Und noch am selben Tag sah ich eine Fernsehdokumentation über die Entzifferung von Hitlers Super Code. Kurzum: Ich war erst 24 Stunden im Vereinigten Königreich, und schon hatte ich das unangenehme Gefühl, der Zweite Weltkrieg sei nach wie vor das wichtigste Thema. Oft werde ich gefragt, warum die Briten so besessen sind von der Nazizeit. Worauf ich immer antworte, die Deutschen seien von dem Thema genauso gefesselt - verbringen Sie einmal einen Abend, indem Sie sich durch deutsche Fernsehkanäle zappen oder blättern Sie Spiegel -Titel durch, dann werden Sie sehen, was ich meine. Doch die ständige Konfrontation mit Kriegsgeschichten während meines letzten Aufenthalts war der Beweis für mich, dass wir Briten offensichtlich die Beschäftigung mit dieser Ära nicht sein lassen können - vielleicht auch nicht wollen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am 15. November 2011 in Leipzig beim 24. Bundesparteitag der CDU. Der künftige Europa-Kurs der CDU, das Thema Mindestloehne und neue Wege in der Bildungspolitik standen im Mittelpunkt. (Foto: dapd)

Ein wenig erleichtert stellte ich allerdings fest, dass auch offenbar unbeabsichtigte Versuche der Wiedergutmachung gemacht werden, indem man sich für andere Aspekte der deutschen Geschichte interessiert - zum Beispiel die faszinierende Untersuchung des britischen Starkochs Jamie Oliver darüber, wie deutsche Immigranten den Hamburger nach Amerika brachten. Oder die lehrreiche und tiefgreifende BBC-Radio-Serie über die deutsche Geschichte vor den Weltkriegen mit dem Titel "The Invention of Germany" ("Die Erfindung Deutschlands"). Man konnte fast fühlen, wie sehr die Ohren der britischen Schüler gebrannt haben mussten, weil sie erfuhren, dass Deutschland tatsächlich vor den Weltkriegen eine Geschichte hatte.

Perverserweise empfand ich daher die Eskalation der Euro-Krise fast als erfrischend. Denn nun wird Deutschland nicht mehr nur durch das Prisma des Krieges wahrgenommen, sondern als ein Land mit der Macht, Europa zu retten. Britische Kommentatoren allerdings sehen Angela Merkel nun in der Zwickmühle. Übernimmt sie die Führung, die Europa so dringend braucht, treibt die EZB zum Handeln und den Rest Europas auf Deutschlands fiskalischen Kurs, läuft Berlin Gefahr, nicht nur als der starke Mann, sondern der Bully Europas wahrgenommen zu werden. Hält sie sich zurück, wird Deutschland dagegen als Schwächling gesehen, der seiner historischen Verantwortung nicht gerecht wird.

In jedem Fall hat es nicht lange gedauert, bis angelsächsische Kommentatoren Deutschlands Intentionen mit Argwohn sahen - nehmen Sie nur die Wortschöpfung "Chermany". Gemeint sind die beiden Super-Exportländer China und Deutschland, ein Wort, in dem sowohl die Wirklichkeit als auch die Furcht vor ökonomischer Dominierung durch wenige über viele enthalten ist. Auch hat es nicht lange gedauert, bis die Leute begannen, Vergleiche zu ziehen zwischen dem, was heute passiert und der Zeit, als wirtschaftliche Misserfolge die Weimarer Republik in die Knie zwangen. Sowohl im britischen Pub als auch in der U-Bahn oder sogar von britischen Meinungsmachern sind Phrasen wie diese zu hören: Deutschland schuldet es der Welt, die Krise zu stoppen oder Deutschland kann von diesem Desaster nur profitieren. Wie auch immer: Die Wahrheit ist, dass die Deutschen derzeit einen guten Public-Relations-Berater brauchen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 12./13.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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