Mein Deutschland:Viel Fleiß in Rot und Weiß

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Der polnische Dortmund-Stürmer Robert Lewandowski jubelt über sein Tor zum 1:0 im Spiel Borussia Dortmund - Hannover 96 am 02.03.2013 im Signal Iduna Park in Dortmund (Nordrhein-Westfalen). (Foto: dpa)

Vielleicht tritt der polnische Kapitalismus bald in die deutsche Postkonsumphase ein.

Agnieszka Kowaluk

"Polska bialo-czerwoni!" (Polen weiß-rot!) kreischt meine unpatriotische, doch solidarische Tochter im Vorbeigehen, als das DFB-Pokalspiel Borussia Dortmund gegen FC Bayern im Fernsehen angekündigt wird. Die Jungs ihrer Klasse finden Robert Lewandowski gut. Sie selbst hat ihn nie spielen sehen, aber quittiert sein "ganz gutes" Aussehen und verlässt das Wohnzimmer. Ich schalte zu meiner Lieblingsärzteserie um. Zuvor hatte ich über den sympathischen polnischen Dortmund-Stürmer gelesen, dass eine deutsche Zeitung ihn "ein Beispiel des neuen fleißigen Polens" nannte. Wenn das mal kein Kompliment ist.

Kluge Soziologen-Köpfe können den Unterschied zwischen der Arbeitsmoral in Deutschland und Polen genau analysieren. Ausgerechnet von einem Deutschen namens Karl stammt die Idee von der Überwindung der Arbeitsentfremdung. Das Experiment mit der neuen Gesellschaft, in der sich der Mensch mit der "befreiten" Arbeit identifizieren sollte, war 1989 zu Ende - in Polen wie im ganzen Ostblock. Wie kann man sich erklären, dass den Menschen dort die Umstellung auf die Marktwirtschaft und der polnische Wirtschaftsaufschwung im Großen und Ganzen - und ganz ohne Generalprobe! - trotz der sozialistischen Arbeitsmoralkrise gut gelungen sind? Vielleicht weil sie ihr Schicksal fleißig in eigene Hände genommen haben? Vielleicht wird der polnische Fleiß generell unterschätzt, mit der die Generation meiner Eltern das Land nach dem Krieg wiederaufgebaut hat - auch von ihnen selbst.

Deutschland befindet sich laut Soziologen in der Postkonsumphase. Nach den Wirtschaftswunderjahren änderte sich allmählich die Einstellung zur Arbeit als Quelle der Selbstverwirklichung. Ich kenne kaum Menschen in Deutschland, die nicht strengstens auf ihre Work-Life-Balance achten würden, damit Arbeit und Büro nicht ihr privates Leben dominieren. In meinen Augen sind die Deutschen Weltmeister in nicht konsumorientierten, alternativen Lebensmodellen und Freizeitgestaltung. Vielleicht wird der polnische Kapitalismus auch bald in die Postkonsumphase treten und meine Landsleute werden nicht mehr so fleißig deutsche Exportware konsumieren müssen. Mit dem überschüssigen Fleiß könnten sie Fußballweltmeister werden.

Agnieszka Kowaluk ist Literaturübersetzerin und berichtet unter anderem für die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 02./03.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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