Mein Deutschland:Ungewissheiten auf beiden Seiten

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Mesut Özil repräsentiert den integrierten Türken.

Celal Özcan

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich . . . Wer sich dem Gänseblümchen-Spiel hingibt, ist sich der Zuneigung seiner Geliebten nicht sicher. Deutschlands Türken zupfen derzeit heftig Gänseblümchen. In der Debatte um Sarrazins Buch gaben die Reaktionen vieler Politiker Grund zur Hoffnung: Sie liebt mich. Umfragen dagegen, denen zufolge die Mehrheit der Deutschen Sarrazins Thesen teilen, führten zum gegenteiligen Ergebnis: Sie liebt mich nicht. Als der Bundespräsident sagte: "Auch der Islam gehört inzwischen zu Deutschland", überwog wieder die Zuversicht: Sie liebt mich also doch. Umfragen aber, wonach 60 Prozent der Deutschen dem Bundespräsidenten widersprechen, kehren die positiven Signale erneut ins Gegenteil.

Ein Schüler der neunten Klasse an einer Hauptschule in Straubing (Niederbayern) schreibt das Wort ´Integration" auf eine Tafel. (Foto: dpa)

Die Türken mögen wehmütig-schnulzige Arabesk-Lieder, die von unerwiderter, enttäuschter Liebe erzählen. Und so ergibt man sich dem Liebesschmerz, der zur Lebensphilosophie wird. Die Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen - Türken seien bei deutschen Jugendlichen unbeliebt und mehr als zwei Drittel der türkischen Jugendlichen würden gern einen Deutschen als Nachbarn haben, aber die Deutschen wollten keine türkischen Nachbarn - liefert den Stoff für wehmütige Arabesk-Lieder. "Ich habe auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen", heißt es in einem solchen Lied. Vielleicht aber ist diese Sehnsucht nach absoluter Hingabe der falsche Weg. Denn selbst wenn die Türken den Koran an die Wand schmetterten, es blieben sicher die ablehnende Stimmen in Deutschland, die auf die Herkunft der Muslime aus einem anderen, fremden Kulturkreis hinwiesen. Die Türken, so besagt die niedersächsische Untersuchung, bewundern Deutschland, spüren aber die Ablehnung und reagieren verärgert und frustriert. War dieser Frust vielleicht auch der Grund, warum so viele türkische Jugendliche mit einem deutschen Pass beim Fußballspiel im Berliner Olympiastadion nicht die deutsche, sondern die türkische Fahne schwenkten und Mesut Özil auspfiffen, obwohl sie noch kurz vorher in Südafrika die deutsche Mannschaft unterstützten und stolz waren auf Özils sportliche Leistung? Özil war ja für sie eine Identifikationsfigur. Er repräsentierte die integrierten Türken, die von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert werden. Jetzt buhten sie ihn aus.

Ursache des Dilemmas sind Ungewissheiten auf beiden Seiten. Die Türken wissen nicht, ob sie hier überhaupt willkommen sind, und die Deutschen fragen sich, ob es vor fünfzig Jahren richtig war, die Türken hierher zu holen. Seine Liebe freimütig zu erklären fällt unter diesen Umständen schwer. Die Angst der Migranten vor Zurückweisung und die skeptischen Bedenken der Deutschen erschweren die ersehnte Integration. Solange beide Seiten ihre Ängste nicht überwinden, wird die Integration, die Erfüllung der wahren Liebe, nicht gelingen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 16./17.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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