Mein Deutschland:Trübe Gewässer, hier wie dort

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Eine Stimmabgabe für das Europäische Parlament, fotografiert als Illustration am 26. Februar 2014 in Potsdam. Vom 22. bis 25. Mai 2014 wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zum achten Mal das Europäische Parlament. In Deutschland findet die Wahl am Sonntag, dem 25. Mai 2014 statt. (Foto: dpa)

In Deutschland ist der proeuropäische Jubel noch groß.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Ist Deutschland der letzte europäische Staat, der den Sirenengesängen der extremen Rechten widersteht? Die Franzosen haben ihren Front National, der bei den Europawahlen wahrscheinlich ganz vorne sein wird. Unfassbar! Und die Engländer, die Niederländer, die Norweger, die Österreicher marschieren fröhlich im Gleichschritt mit . . . Nur Deutschland hat keine einflussreiche und professionalisierte rechtsextreme Partei, mit charismatischem, modernem Führer, einigermaßen präsentablem politischen Personal, einem von allen xenophoben und antisemitischen Ausfällen gereinigten Programm, einer wachsenden Verankerung in den Regionen und mit einem starken Bein im Bundestag. Laut Umfragen bekommt die NPD nur ein Prozent der Stimmen bei den Europawahlen.

Was bleibt, ist die AfD: Ihr Gründer, Bernd Lucke, versäumt es nicht, jegliche Seelenverwandtschaft mit den europäischen Rechtspopulisten zu bestreiten. Er verweigert auch laut und vernehmlich jegliche Verbrüderung: keine Allianz mit dem FN! Keine Annäherung an die Ukip! Die AfD fischt nichtsdestotrotz in ziemlich trüben Gewässern mit ihren homophoben und xenophoben Strömungen und ihren ultrakonservativen Wellen, wenn es sich darum dreht, Familie und die Rolle der Frauen zu definieren.

Selbstverständlich teilen die Deutschen die großen Ängste, welche die wachsende Popularität der Rechtsextremen nähren: die Angst, dass ihre Wirtschaft in der trügerischen Sonne des Euro schmelzen, ihre Werte durch die Islamisierung ausbluten und ihr Sozialsystem von den Ausländern, welche die löchrigen Grenzen ihres Landes durchdringen, ausgenutzt werden könnten. Doch bis jetzt war der proeuropäische Jubel der Deutschen groß. Selten waren jene, die es wagten, ihn infrage zu stellen. Fällt hier gerade ein Tabu in diesem durch seine Geschichte so traumatisierten Land, in dem das Europäer-, ja Weltbürgersein es lange Zeit vor allem erlaubte, nicht Deutscher sein zu müssen? Jene fünf bis sieben Prozent, die Umfragen der AfD für den 25. Mai vorhersagen, scheinen das anzudeuten. Man ist selbstverständlich noch weit von dem Siegesmarsch einer Marine Le Pen entfernt. Aber sicher ist: Durch die Krise ist auch die Liebe der Deutschen für Europa erkaltet.

Pascale Hugues ist Deutschland-Korrespondentin des französischen Nachrichten-Magazins Le Point.

© SZ vom 17./18.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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