Mein Deutschland:Tägliche Heimatsuche

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Es ist nicht immer mein Deutschland.

Aktham Suliman

Vor nicht allzu langer Zeit bekamen die Autoren dieser Kolumne einen Leserbrief, in dem ein Abonnent die Rubrik "Mein Deutschland" analysierte. Ein Hauptkritikpunkt des Abonnenten war, dass die Autoren oft "am Thema vorbei" schreiben würden. Aber geht das? Ich gehöre zu denen, die glauben, dass es mehr als 80 Millionen "Mein Deutschland" jeden Tag gibt - allesamt druckreif.

Auf einen Aufruf hin der Exiliranischen Gesellschaft in Berlin demonstrierten am 16. August 2012 Menschen gegen die iranische Führung und gegen das syrische Assad-Regime. (Foto: dpa)

Als ich begann, für diese Kolumne zu schreiben, bekam allerdings eine Frage einen neuen Klang: "Was ist mein Deutschland?" Wo würde ich begeistert schreien: "Ja, das ist mein Deutschland?" Die logische Schlussfolgerung ist, wo würde ich enttäuscht und desillusioniert denken: "Das ist nicht mein Deutschland, in dem ich gerne mehr Zeit als in meiner ursprünglichen Heimat Syrien verbracht und verbraucht habe." Dass diese Momente im Spannungsfeld "Alte Heimat - neue Heimat" zu suchen und zu finden sind, liegt auf der Hand.

Ja, das ist mein Deutschland, dachte ich beim Verfolgen eines "Heute-Journals" im ZDF Anfang August. In dem Beitrag von Dietmar Ossenberg aus Syrien ging es um die Rolle von al-Qaida im dortigen Volksaufstand. Ausgehend von der Hinrichtung eines Fernsehmoderators des syrischen Staatsfernsehens durch al-Qaida versuchte Ossendorf das Bild eines in Angst und Chaos lebenden Landes zu zeichnen. Das Urteil über die Al-Qaida-Kämpfer in Syrien fiel vernichtend aus: "Ihr Ziel ist nicht die Befreiung von der Diktatur, ihr Ziel ist fanatisch religiös." Ein Deutschland, das sich weit weg von Diktatur und Fanatismus zu positionieren weiß, das ist mein Deutschland.

Nicht mein Deutschland verkörpert die Reaktion des Auswärtigen Amts auf den Anschlag, dem der syrische Verteidigungsminister Ende Juli in Damaskus zum Opfer fiel. "Die Gewalt kehrt dorthin zurück, wo sie ihren Ausgang genommen hat, nämlich ins Machtzentrum des Assad-Regimes nach Damaskus", hieß es in einer schriftlichen Erklärung von Guido Westerwelle. Ein Deutschland, dessen Diplomatie die Tötung eines Ministers in einem UN-Mitgliedsstaat erklärend und "rechtfertigend" kommentiert, ist nicht mein Deutschland.

Aktham Suliman leitet das deutsche Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Network in Berlin.

© SZ vom 11./12.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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