Mein Deutschland:Steckt das Land in einer Seifenblase?

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Was bleibt, ist eine Verarmung Italiens.

Alessandro Melazzini

Frauen-WM: Begeisterung im fußballsüchtigen Italien? Fehlanzeige. Jenseits der Alpen interessiert sich nämlich kaum jemand für die Frauen-Weltmeisterschaft, wie ich einem verblüfften Kellner in einem Münchner Biergarten erzählen musste, als er mich fragte, warum denn Italien nicht mitspiele. Zugegeben, nach der Schlappe gegen Japan sind auch die Deutschen weniger begeistert, aber der Unterschied zwischen dem Enthusiasmus hier und dem Desinteresse dort für dieses Sport- und Medienereignis bleibt doch gewaltig. Dasselbe gilt für den Eurovision Song Contest, dessen Existenz in Rom oder Mailand kaum zur Kenntnis genommen wurde, während diese Veranstaltung in Hamburg oder Berlin ein großes Publikum faszinierte.

Italien - neues EU-Sorgenkind der Schuldenkrise. Eine italienische Fünf-Cent-Münze mit der Prägung des Colosseums in Rom liegt auf einem kleinen Fähnchen mit den Nationalfarben von Italien, aufgenommen in Frankfurt (Oder) am 13.07.2011.  Auch ein von der italienischen Regierung angekündigtes Milliardensparpaket konnte schwere Turbulenzen auf den Finanzmärkten nicht verhindern. (Foto: dpa)

Was die Musik angeht, ist es in Italien in der Tat ziemlich schwierig, sich gegen das Festival di San Remo zu stellen. Dem Publikum ist dieser kitschige Wettbewerb genug. Zugegeben, auch der Eurovisions Contest hat Kitsch im Angebot, aber man trifft dort eben nicht nur seinen italienischen Nachbarn, sondern auch Vertreter aller europäischer - und auch nicht-europäischer - Länder.

Dieses totale Desinteresse für Ereignisse außerhalb der eigenen Grenzen ist ein Indikator für den Provinzialismus Italiens. Die Politik unterfüttert ihn mit ihrer Botschaft, dass Italien ohnehin das beste Land der Welt sei. Deutschland hat dagegen Lust auf Kontakt mit dem Ausland, und fiebert bei Shows mit, die es auf der Weltbühne präsentieren können.

Tatsächlich mangelt es in Italiens Fernsehen generell an der Neugier für jegliche Ereignisse im Ausland. Selbstverständlich gibt es auch in Italien viele Leute, die Lust auf Entdeckung haben, die meisten aber wandern aus, denn die italienischen Verhältnisse - zusammengefasst unter den Schlagworten Provinzialismus, Immobilismus, Korruption, Berlusconi - sind für viele unerträglich.

Es ist, als ob das Land in einer Seifenblase steckenbliebe, wo die Betrachtung seines eigenen Bauchnabels viel interessanter ist als der Anblick der Außenwelt. Doch alle, die glauben, "bei uns in Italien" sei es viel besser als bei den Fremden, unterstützen den Status quo. Mittel, um über den Tellerrand hinauszuschauen und sich eine eigene Meinung zu bilden, gibt es zwar auch in Italien genug. Wer aber auf die Idee gekommen ist, dass sich nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die geistige und politische Situation des Landes ändern müsse, um zu genesen, kommt oft gleich zur drastischen Entscheidung auszuwandern.

"Seit Jahren bekomme ich fast jeden Tag E-Mails von verzweifelten jungen Menschen, oft Akademikern, die die Seichtheit Italiens nicht mehr ertragen und in Deutschland eine Hoffnung sehen", erzählt der Software-Ingenieur Claudio Cumani, Präsident des italienischen Komitees in Bayern. Keine schlechte Nachricht für Europa, denn eine innereuropäische Durchmischung kann nur zu einem stärkeren Europa führen. Allerdings suchen nur sehr wenige qualifizierte Deutsche ihr Glück südlich der Alpen. Was bleibt, ist eine absolute Verarmung Italiens, wo junge Studenten an guten Universitäten ausgebildet werden, um dann nach Deutschland zu gehen.

Schlechte Nachrichten also nur für Italien. Doch Sie können sicher sein: Im italienischen Fernsehen werden Sie darüber kein Wort erfahren.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland und ihre Heimat. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 16./17.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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