Mein Deutschland:Silvios Zauberflöte

Lesezeit: 2 min

Die italienische Opposition ist derart am Boden, dass sich nicht einmal die Narren dafür interessieren.

Alessandro Melazzini

Ich habe mir eine Pappnase gekauft. Ob ich sie trage? Da bin ich mir noch nicht sicher. Die Faschingsbegeisterung, die in Deutschland tobt, sehe ich mit Skepsis. Wenn man die römischen Karnevalsbeschreibungen Goethes und E.T.A. Hoffmanns heute liest, könnte man glauben, dass Italien immer noch das Land sei, wo das Helau erklingt. Tempi passati!

"Silvio mit den Scherenhänden" beim Fasching in Viareggio am 31. Januar. (Foto: Foto: AFP)

Wo die Menschen das ganze Jahr relativ ungezwungen durchs Leben kommen, und Karneval keine Religion wie in Rio ist, braucht man keine festgesetzte Zeitspanne, in der es gesellschaftlich erwünscht ist, sich als Narr auszugeben. Gewiss, auch in Italien gibt es noch Bollwerke des Karnevals wie Venedig oder Viareggio.

Die toskanische Hafenstadt war immer die Bühne für politische Satire, wo - genau wie auf dem Münchner Nockherberg - man umso mehr durch den Kakao gezogen wird, je wichtiger man ist. Es überrascht also nicht, dass Herr Berlusconi und seine Ministerriege als Pappkameraden in Viareggio an den Pranger gestellt werden.

Traurig ist eher, dass kein Karnevalswagen der Linken gewidmet ist. Die italienische Opposition ist derart am Boden, dass sich nicht einmal die Narren dafür interessieren.

Dass ein Politiker, der auch mit Mafia-Vorwürfen konfrontiert ist, sich so erfolgreich halten kann, bleibt für die Deutschen ein Rätsel, das sie zu lösen versuchen, indem sie Berlusconi zum Faschingsprinzen der italienischen Politik küren.

Wäre das Leben doch so einfach! Die Gründe des Dauer-Erfolges des Medienmoguls aus der Lombardei sind viel komplexer und verflochtener, als die vermutete Liebe des Stiefels für das Theatralische, wenn nicht das Groteske ahnen lässt. Gewiss verkörpert der Anti-Politiker Berlusconi jenes tief verwurzelte italienische Misstrauen gegen den Staat, das literarisch schon Giovanni Vergas Roman "Die Malavoglia" aus dem 19. Jahrhundert verarbeitete.

Sicher bedient sich Berlusconi auch maßlos der Waffe des Antikommunismus, obwohl sein Machtapparat voll ehemaliger Linksextremisten und sein bester Kumpel ein Ex-KGB-Agent namens Wladimir Wladimirowitsch Putin ist.

Aber Silvios Zauberflöte bleibt ja auch in Deutschland nicht unerhört: Eines seiner Lieblingsschlagwörter - Steuern runter! - hat schließlich auch die FDP an die Macht gespült. Und was Berlusconi und seine mächtigen Verbündeten von der Lega Nord lautstark fordern, kennt man ihn Deutschland seit langem: Föderalismus, effektive Maßnahmen gegen illegale Einwanderung, Immunität der Parlamentarier und Befangenheitsanträge gegen Richter. Auf beiden Seiten der Alpen ist die politische Lage eben viel bunter als gedacht, genau wie im Fasching.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 06.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: