Mein Deutschland:Shakespeare in Deutsch

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Selbst fast 400 Jahre nach seinem Tod, wird über ihn immer noch heiß diskutiert.

Kate Connolly

Shakespeare ist Deutsch. Shakespeare ist Deutsch? Ich musste zweimal hinschauen, als ich das Poster sah. Okay, wir Briten haben den Mini an Euch verloren, und das war schon schmerzhaft, aber jetzt unseren besten Theaterautor?

Ein Portrait von William Shakespeare. (Foto: AFP)

Im Londoner Globe Theater läuft bis Ende Januar eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Shakespeare ist Deutsch": Stücke, Filme und Vorträge. Sie sollen die besondere Beziehung der Deutschen zu dem Dichter zelebrieren. Wie sehr Shakespeare in die Herzen der Deutschen Einzug gehalten hat, habe ich gemerkt, als ich eine Arbeit über das Bild des "Großen Barden" in Übersetzungen schrieb. Ich las Schlegels Fassung der Sturmszene aus König Lear und es traf mich - regelrecht wie ein Donnerschlag -, dass der deutsche Autor eine kraftvollere und eindringlichere Beschreibung von Lears Leiden verfasst hatte als Shakespeare selbst. Danach bin ich - zugegebenermaßen mit Herzklopfen, denn warum sollte ausgerechnet ich Shakespeare in Deutsch sehen? - ins Frankfurter Schauspielhaus gegangen. Der Kaufmann von Venedig, eine Produktion des Edinburgh Festivals aus der Mitte der neunziger Jahre, hat mich fast umgehauen wegen seiner modernen Sprache, die dem Stück ein Maß an Freiheit gab, die britische Aufführungen selten haben.

Den Archiven zufolge geht das deutsche Interesse an Shakespeare zurück ins Jahr 1604, als englische Schauspieler nach Nördlingen reisten, um Romeo und Julia aufzuführen. Es erreichte - auch befeuert durch Goethes Rede "Zum Shakespeare Tag" - im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. 1833, als Schlegel das gesamte Werk übersetzte, nahm er sich sogar die Freiheit, das Original zu verbessern. So geschah es, dass aus "To be or not to be - that is the question" wurde: "Sein oder nichtsein - das ist hier die Frage."

Möglicherweise waren es Bemühungen wie die von Schlegel, die spätere Schriftsteller wie Gerhard Hauptmann dazu verleiteten, Shakespeares Stücke mutig als deutsch zu bezeichnen: "Shakespeares Gestalten sind ein Teil unserer Welt, seine Seele ist eins mit unserer geworden; und wenn er in England geboren und begraben ist, so ist Deutschland das Land, wo er wahrhaftig lebt." Eine interessante Bemerkung über einen Mann, von dem gesagt wird, er sei der weltweit erste "Global Player" gewesen. Seitdem scheint jede Generation in Deutschland ihre Leitfiguren zu haben, die Shakespeare für sich reklamieren. Der letzte ist Roland Emmerich. Er allerdings hat etwas getan, das nach deutschen und englischen Maßstäben undenkbar ist: Er droht den Ruf des Barden zu zerstören - mit dem Film "Anonymous", der auf der Theorie basiert, dass Shakespeare nicht gelebt hat und es vielmehr ein Earl gewesen sein, den man gezwungen habe, seine Werke unter Pseudonym zu veröffentlichen.

Für meinen Teil bin ich noch nicht bereit, diese Theorie zu akzeptieren. Doch die Tatsache, dass über Shakespeare, fast 400 Jahre nach seinem Tod, heiß diskutiert wird, belegt, dass wir, ob Deutsche oder Briten, ihn noch immer brauchen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 25.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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