Mein Deutschland:Sei umarmt, Kapitän!

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Ein Flugzeug startet vom Flughafen Frankfurt (Hessen) in den Sonnenuntergang. (Foto: dpa)

Wenn man als Russin nach einem Kurzbesuch Abschied nehmen muss und in die Wahlheimat Deutschland zurückfliegt, bleiben neben Wehmut auch neue Erkenntnisse.

Eine Kolumne von Maia Belenkaya

Vor Kurzem kam ich aus Russland zurück. Es war so schön dort, ich wollte nicht wieder weg. Das hohe Wolga-Ufer, das Musikfestival, meine Freunde. Kurz: mein Zuhause. Doch ich musste wieder zurück. Am Abend vor dem Abflug, wie es sich in Russland gehört, kamen Gäste in Massen, und in der Nacht fuhren mich meine Freunde schon zum Flughafen. Und es ging gleich los: kein Sprit, vor uns ein Unfall. Kurz gesagt - wir kamen zu spät. Nicht allzu spät, aber der Check-in war schon vorüber.

Und plötzlich verstand ich, wie sehr ich eigentlich fliegen wollte. Nicht nur weil ich musste, nein, auch weil ich Deutschland vermisste. Fast schluchzend fand ich meine Rettung: Eine junge Lufthansa-Mitarbeiterin brachte mich mit dem schweren Koffer, mit den Taschen, mit meinem Laptop durch die Passkontrolle und bis zu einem großen Extra-Bus, in den ich mit Mühe hineinkletterte. Doch dass ich auch die Gangway mit all diesen Sachen hochkommen würde, war unrealistisch. Deshalb ließ ich meinen Koffer auf dem Rollfeld liegen und rannte in den Flieger. Der Steward war streng: Auf keinen Fall gehe so etwas als Handgepäck durch und der Rest - das sei mein Problem.

Ich war schon bereit, meinen Koffer einfach so liegen zu lassen, unter dem russischen Himmel, als aus dem Cockpit ein sympathischer Pilot kam. Der Steward flüsterte: "Unser Chef. . ." Dieser Kapitän lächelte, sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, lief die Gangway hinunter zu meinem Koffer und brachte diesen eigenhändig zum Laderaum des Flugzeugs. Dem Steward und mir fehlten die Worte. Der Kapitän kam zurück, nickte mir ermutigend zu und sagte: "Alles in Ordnung." Und da warf ich mich ihm um den Hals. Als ich saß und als der Steward mir als Beruhigungsmittel ein Glas Wein brachte, hatte ich das Gefühl, nach Hause zu fliegen, dasselbe, wie ich es immer hatte, wenn ich nach Russland fuhr. Aber es überkam mich jetzt auch bei der Rückkehr nach Deutschland. Und darüber war ich sehr, sehr erfreut.

Eigentlich hatte ich noch erzählen wollen, welcher Flug das war, wann und aus welcher Stadt. Aber dann dachte ich mir: Das ist total unbedeutend. Wichtig ist, dass deutlich wird, dass Heimat jene Menschen sind, die bereit sind zu helfen.

Maia Belenkaya ist freie Journalistin. Sie lebt und arbeitet in München.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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