Mein Deutschland:Schlechte Karten für Feiermuffel

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Gute Gründe zum Feiern: Dem 2009-Jubiläums-Staccato folgt ein weiteres Jahr der runden Daten.

Alessandro Melazzini

Endlich ist es so weit. Was war das für ein anstrengendes Jahr, das sich gerade verabschiedet hat! Ich rede hier nicht über die ominöse Weltkrise, die uns alle jeden Tag seit Monaten an die Labilität unserer Normalität denken lässt und hoffentlich irgendwann schnell wie der gestrige Silvesterkater vorbei ist. Ich meine eher die allgegenwärtigen Gedenktage, die Deutschland in den letzten zwölf Monaten Tag und Nacht begleitet haben.

Der 20. Jahrestag des Mauerfalls wurde unter anderem mit einem großen Feuerwerk am Brandenburger Tor gefeiert. (Foto: Foto: dpa)

Italien begnügte sich mit dem vierhundertsten anniversario von Galileo Galileis Beobachtungen am Fernrohr, dagegen tobte 2009 in Deutschland ein regelrechter Wirbelsturm von bedeutungsvollen Jubiläen. Man reanimierte Arminius und die Teutoburger Schlacht vor 2000 Jahren, man ehrte den 250. Geburtstag Schillers, man realisierte, dass die Bundesrepublik inzwischen eine kraftvolle Dame von 60 Jahren ist, man blickte in die Himmel über Berlin und dachte an die Luftbrücke samt Rosinenbombern, man sah in den Spiegel und schwärmte, ach, wie jung war ich vor 20 Jahren und wie offen mein Leben damals, offen wie die deutsch-deutsche Grenze nach der verdrehten Antwort von Schabowski. Jeder Jubeltag brachte mit sich eine Fülle von Tagungen, Veranstaltungen, Reden, Berichten, Lächeln und Tränen, die am 9.November in der Hauptstadt ihren Gipfel erreichten.

Ein aufreibendes Jahr

Zugegeben, man feiert in Deutschland gerne und lange, wie die Welt spätestens seit der letzten Fußball-WM weiß. Doch das 2009-Jubiläums-Staccato war ziemlich aufreibend für alle, die hierzulande eine ernsthafte Erinnerungskultur pflegen (nicht zu vergessen meine Kollegen, die darüber berichten mussten).

Warum aber begeht man runde Daten? Sicher zur Mahnung und Selbstvergewisserung, vor allem, wenn es sich um geschichtsträchtige und festliche Ereignisse handelt wie die Gründung einer Republik aus den Trümmern eines epochalen Unterganges oder das plötzliche Zerbröckeln eines argwöhnischen Unrechtsstaats. Politiker, Eventmanager, Journalisten, Verlagshäuser und Cateringfirmen wissen jedoch auch, dass Gedenktage die unschlagbare Gelegenheit bieten, den Umsatz feierlich zu erhöhen beziehungsweise Wähler zu mobilisieren.

Angesichts dessen warten sie diesseits und jenseits der Alpen alle gespannt auf das nächste Jahr, das den 50. Jahrestag des Mauerbaus sowie den 150. der Staatsgründung Italiens bringen wird. Diejenigen aber, die sich deshalb heuer ein kleines bisschen Ruhe von lauten Feiern wünschen würden, muss man leider vorwarnen, dass 2010 nicht nur der 20. Jahrestag der deutschen Einheit, sondern auch das 200. Wiesn-Jubiläum ansteht. Also wieder schlechte Karten für Feiermuffel. Immerhin könnte man auf beide Sternstunden am selben Tag gemütlich, ausgelassen oder skeptisch anstoßen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 02.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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